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von Sonnenblume10 » Do 16. Aug 2012, 16:17
Hallo, Melly,
interessanterweise werden wir, auch wenn wir älter werden, nicht unbedingt klüger. Ich bin genauso alt wie Du und wurde vor zwei Jahren ziemlich überraschend von meinem Ex. verabschiedet, zu einer Zeit, als ich unsere Beziehung als wesentlich stabiler einschätzte als einige Monate zuvor. Ich traute mir mehr zu und hatte die Rolle der Unterlegenen in der Beziehung verlassen und dann genügte eine kleine Frage von mir, ihn endgültig in die Flucht zu treiben.
Wir hatten nach der Trennung noch einige Monate Kontakt über Drähte (niemals persönlich), weil es mir zu schwer fiel, ihn endgültig aus meinem Leben zu streichen, obwohl ich auch wusste, dass ich die Beziehung niemals wieder hätte zurückhaben wollen. Einige Monate später brach er den Kontakt dann ganz ab, als er offenbar eine neue Beziehung einging.
Heute ist mir klar, ein Bindungsphobiker geht am ehesten dann, wenn eine Beziehung fester und stabiler wird, weil bei ihm die Angst zunimmt. Warum sollte er vorher gehen, wenn die Beziehung instabil und voller Aufs und Abs verläuft, denn dann stellt sie noch keine ernsthafte Bedrohung für ihn dar?
Dass Dein Ex Dich verlassen hat, kam für Dich überraschend. Aber ich glaube, unbewusst hast Du das vorher schon gespürt, Du hast nur die Anzeichen nicht erkannt oder fehlinterpretiert. Du schreibst, dass Du vor sechs Wochen eine unerklärliche Angst hattest. Das waren die Zeichen aus Deinem Unbewussten, die damals auf die bewusste Ebene drängten.
Du hast sie verdrängt, wolltest sie nicht wahrhaben, hast sie unterdrückt, aber vermutlich wollten sie Dich auf etwas hinweisen.
Es ist menschlich, dass wir solche Anzeichen nicht erkennen, weil wir sie nicht erkennen wollen und uns unseren Traum vom Glück nicht nehmen lassen wollen.
Ich ging monatelang in meiner Beziehung mit Scheuklappen spazieren, sah das Positive und Einzigartige unserer Beziehung und dachte, mit der Zeit würde auch er dies entsprechend hoch einschätzen. Später habe ich erkannt, dass ich alles Negative ausgeblendet, übertüncht hatte und die Beziehung bereits schon lange auf tönernen Füßen stand.
Nach der Trennung fühlte ich mich wie Du: weggeworfen, entsorgt wie ein alter Putzlappen, den man nicht mehr braucht und will. Ich fühlte mich betrogen und mit der Zeit kam nach der unendlichen Traurigkeit auch die Wut. Wut auf ihn, aber auch auf mich, dass ich nicht eher gegangen war, als ich eigentlich hätte sehen müssen, dass die Beziehung nichts taugt und mir niemals das geben würde, was ich brauchte.
Du kannst momentan nicht viel tun, außer Dich abzulenken. Brich jeglichen Kontakt zu ihm ab, sorg dafür dass alles verschwindet, was von ihm noch in Deiner Wohnung ist. Sollte er etwas nicht abholen, schmeiss den Plunder weg. Beschäftige Dich so gut es geht. Aktiviere alte Bekanntschaften, Freundschaften zu Menschen, die Dir gut tun, auch wenn es nur oberflächliche Kontakte sind. Und unternimm viel, vergrab Dich möglichst wenig in Deiner Wohnung. Alles was Du jetzt für Dich tust, ist gut für Dich, auch wenn es Dir nur wie Beschäftigungstherapie ohne Tiefgang vorkommt. Die Trauer kommt sowieso wieder hoch, wenn Du in der Wohnung bist, im Bett liegst und an ihn denkst. Erst nach einiger Zeit wirst Du merken, dass Du weniger an ihn denkst und allmählich und in kleinen Schritten wieder heiler wirst. Dieser Prozess ist auch Schwankungen unterworfen. Wenn Du glaubst, Du hast das Schlimmste hinter Dir, fällt Dich die Trauer hinterrücks wieder an. Akzeptiere es, es gehört dazu!
Du darfst wütend sein, aber setze Rachegelüste nicht in die Tat um. Sie würden zu Dir zurückkehren. Aber Du brauchst die Wut, weil sie ein Mittel zum Überleben ist. Sie zeigt Dir, dass Du noch Energie in Dir hast. Versuche sie positiv umzulenken. Alle Gedanken sind erlaubt, auch die, dem Ex in seine verdammten ... zu treten, nachdem zwei schwere Jungs ihn bereits krankenhausreif geschlagen haben. Das war so eine Fantasie von mir. Ich wusste gar nicht, dass ich solche zerstörerischen Tendenzen in meinen Gedanken aufbringen konnte.
Ein Mittel, den Schmerz und die Trauer in der Trennungsphase abzukürzen, ist mir nicht bekannt. Und es ist offenbar auch nicht so, dass man mit zunehmendem Alter Trennungen leichter überwindet, eher das Gegenteil. Die Gefühlsintensität ändert sich nämlich nicht. Bei Liebeskummer ist es offenbar egal, ob man 18 oder 70 Jahre alt ist. Lediglich das Wissen, das aus der Erfahrung resultiert, ist größer. Wir wissen, wir werden es überleben.
Schau Dir nach einiger Zeit Deine Beziehung nüchterner an mit Hilfe Deines Verstandes. Vielleicht siehst Du dann Dinge, die Dir vorher verborgen blieben, weil Du sie nicht sehen wolltest. Mein Verstand sagte mir schon Monate vorher, dass die Beziehung niemals halten würde und doch blieb ich, weil mir das Leiden in der Beziehung immer noch leichter erschien als das Lösen. Meine Gefühle schätzten die Trennung von diesem ach so einzigartigen Menschen als unüberwindbar ein.
Vor einiger Zeit schrieb eine Frau im Forum, dass sie sich auf den Vorschlag eines Therapeuten eine Art geistiger Zufluchtstätte geschaffen hat. Eine Welt mit Blumen, Farben, Tieren, in der nichts Negatives ist. Es ist eine Art seelisches Refugium, um die nächste Zeit besser überstehen zu können. Vielleicht funktioniert das bei Dir auch. Ich fand es schade, dass ich den Tipp erst viel später gelesen habe, als ich schon weit über den Berg war.
Falls Du allein nicht klar kommst, suche Dir Unterstützung, evt. bei fachkundigen Leuten. Vielleicht gibt es eine Beratungsstelle in Deiner Nähe, an die Du Dich wenden könntest. Eine Freundin von mir war ein paar Mal kostenlos bei einer Einrichtung und die dortige Frau half ihr sehr auf die Sprünge, die anstehende Scheidung zu akzeptieren und der Wirklichkeit, dass Ihr Noch-Ehemann weg wollte und sie ihm nicht mehr viel wert war, ins Auge zu sehen. Ich war bei einem frei beruflichen Therapeuten, nur zweimal, aber auch das fand ich sehr hilfreich, weil ich aus dem Gedankenkarussell etwas herauskam. Er sagte einige Dinge zu mir, die mich zum Nachdenken brachten. Nicht etwa über ihn, sondern über mich. Wenn Du es allein nicht schaffst, bemühe Dich um eine Therapie. Es ist nicht verwerflich, wenn man sich in einer Krisensituation Hilfe holt. Die ist deswegen nützlich, weil der Therapeut erstens geschult ist, entsprechende Fragen stellt, Hinweise gibt und vor allem völlig objektiv und neutral ist. Es war für mich erstaunlich, dass er nie gewertet hat, weder zu Gunsten noch zu Ungunsten von mir. Ich merkte, dass ich dort war, um über ihn zu reden und war auf einmal bei mir angelangt. Erst später erkennen wir, was in der Beziehung schief lief.
Dein Ex trägt sich womöglich schon länger mit dem Trennungsgedanken und auch sein Alkoholkonsum lässt auf unbewältigte Probleme schließen. Leider greifen Männer oft gerne zu alkoholischen Getränken, die betäuben. Mach Dir Gedanken über seine Biografie. Was hat er erlebt, wie wurde er geprägt? Gab es häufige Trennungen in seinem Leben, Umbrüche. Vielleicht hat er Probleme mit dem Selbstwertgefühl. Du schreibst, Du verdienst wesentlich mehr als er. Vielleicht fühlte er sich minderwertig in der Beziehung, weil er auch sonst keine Möglichkeit hatte, das Gefühl von Unterlegenheit, Nutzlosigkeit anderweitig zu kompensieren.
Aber mache Dir auch Gedanken über Dich? Welchen Typ Mann ziehst Du an, wer erscheint Dir attraktiv. Erkennst Du Wiederholungen? Bei mir waren es immer Männer, die ich nicht haben konnte, die mich magisch anzogen. Solche, die sehr eigenständig wirkten, mich nicht brauchten, um die ich kämpfen musste. Um die litt ich am meisten. Solche, die eine stabile Beziehung versprachen, mir hinterher rannten, wirkten langweilig und unattraktiv auf mich. Ich war nicht unschuldig am Desaster in der Beziehung.
Erst viel später erkennen wir, dass ein Segen in der Trennung lag, dass sie uns vor Schlimmeren bewahrt hat. Ich habe durch die Trennung an Eigenständigkeit gewonnen, mache viel mehr allein als früher und mir fiel auf, dass mir das Spaß macht, mich nicht auf einen anderen einstellen zu müssen. Und ich kam endlich davon weg, dass ich alles der Beziehung unterordnete. Sie war Dreh- und Angelpunkt in meinem Dasein, sie bestimmte meine Gedanken und meine Gefühle, ohne sie war ich nicht viel. Erst spät habe ich erkannt, dass das falsch ist und dass auch in scheinbar alltäglichen Dingen ein Wert ist. Und vor allem erkannte ich, dass er nicht halb so wertvoll war, wie ich mir vorher eingebildet hatte. Er war ein schwacher Mensch, ohne viel Format, und das vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Einige Monate nach der Trennung hat er den Kontakt endgültig abgebrochen, als ich ganz ausgedient und keine Bedeutung mehr für ihn hatte. Die Erkenntnis, dass ich dieser Beziehung viel größeren Wert beimaß als er, tat mir lange Zeit weh. Wenn er mich heute sieht, was selten vorkommt, nimmt er mich möglichst nicht zur Kenntnis und vermeidet jeglichen Kontakt. Sein Verhalten entspricht dem, was ich von ihm erwartet habe - also nicht allzu viel.
Und um so etwas wie ihn weinte ich, hatte ich schlaflose Nächte und darüber hatte ich etwas ganz Wichtiges in meinem Leben ganz vergessen, nämlich mich selbst.
Besinne Dich auf Dich selbst und tue Dir Gutes. Nütze die schwere Zeit für Dich und Du wirst Gewinn daraus ziehen. In glücklichen Zeiten lernen wir nichts dazu, nur in schwierigen, denn die zwingen uns einige Dinge in Frage zu stellen.
LG
Sonnenblume