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von Sonnenblume10 » Mo 27. Mai 2019, 12:35
Ich habe wenig gemacht, also nicht viel ausprobiert. Ich habe aber viel gelesen und versucht, einen Bezug zu mir zu sehen und herzustellen. Nicht alles, was Andere schreiben, stimmt für Jeden. Aber einige Bücher waren sehr nützlich, vor allem die von Stefanie Stahl kann ich empfehlen. Sie liegen aber vlt. auch nicht allen. Im Prinzip muss jeder was Geeignetes finden.
Ich bin spazieren gegangen und habe meine Gedanken fließen lassen, egal was so daher kam. Und mir dabei auch Gedanken über mich gemacht. Z.B. empfand ich nach der Trennung oft Wut und seltsamerweise endete ich dann in meinen Gedanken immer wieder bei meiner Mutter! Ein deutlicher Wink mit dem Brückenpfeiler, würde ich mal sagen.
Ich habe immer wieder mal reflektiert, die Stimmungen ausgehalten. Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich brauche irgendwie Hilfe und da immer das Richtige im Leben passiert, sprach ich mit einem Freund und der riet mir zu einem Theraupeuten, zu dem man mal gehen kann, wenn man nicht weiter weiß. Er war selbst schon dort und auch mit seiner Freundin.
Dann überlegte ich. Ich bei einem PT? Geht das nicht ohne?
Dann tat ich es doch und machte einen Termin. Als ich hinfuhr, dachte ich mir wieder: oh Gott, was soll ich dort denn?
Ich brauch das doch gar nicht, eigentlich. Aber uneigentlich wohl doch.
Es war komisch. Ich setzte mich in einen Sessel, er schräg gegenüber, zwischen uns ein Tischchen mit Kleenex. Einfach furchtbar, aber besser als eine Arztpraxis. Und ich sagte: ich weiß eigentlich nicht so recht, was ich hier will.
Er meinte trocken: Normalerweise haben die Leute, die zu mir kommen ein Problem.
Ich lachte ein wenig und dann sagte ich genau drei Worte, die ich hier nicht wiederholen will. Aber es beeindruckte mich, dies gesagt zu haben. Denn ich sprach von mir und nicht von ihm, über den ich doch eigentlich hätte sprechen wollen! Merkwürdig, dass ich von mir anfing. Und diese drei Worte umrissen genau mein Problem.
Tja, irgendwie redeten wir dann weiter. Er sagte manches, ich erzählte vieles, konkret war nichts. Nach dem seltsamen Anfang waren die Schleusen offen und mir war klar, warum hier die unvermeidlichen Kleenex standen. Ich brauchte sie, und wie!
Ich hatte so viel in mich gefressen, so viel rumgetragen und das kam jetzt raus. Meine ganzen Verletzungen brachen auf.
Und wir sprachen nur über mich und über mein Elternhaus. Über die Situation meiner Eltern, denn hier hat alles seinen Ursprung. Hier beginnt es, im Guten wie im Schlechten.
Was mich am meisten beschäftigte: er war vollkommen neutral.
Er gab mir nie Recht, er bestätigte mich nicht, er war auch nicht etwa mitleidig. Er war so was von außen vor, dass es kein Richtig und kein Falsch mehr gab. Denn es war einfach nur so, wie es eben war. Und diese absolute Neutralität, die niemanden verurteilte und niemanden bestärkte, war für mich sehr hilfreich. Es gab keine Urteile, keine Beurteilungen und keine Verurteilungen.
Es passte auf einmal vieles zusammen.
Nach einer Stunde ging ich und war erst mal müde. Ich hatte genügend Stoff zum Nachdenken, obwohl scheinbar nicht viel passiert war. Ich brauchte ein Bier, dann ging es mir wieder besser.
Ich ging nochmals hin und da sprachen wir auch über ihn. Auch hier absolute Neutralität, keinerlei Bewertungen. Das half mir. Von Heilung war ich weit entfernt, die kam erst später, nach Monaten. Aber ich hatte einen Ausgangspunkt: mich mit meinen ureigenen, erlernten, übernommenen Ängsten und Defiziten. An mir lag alles und das war gut so.
Er, der Typ da, er war nur das Symptom, der das Ding ins Rollen brachte und dafür bin ich ihm heute tatsächlich dankbar. Wäre er nicht in mein besch... Leben gekommen, träte ich weiter auf der Stelle.
Und einiges, was der PT sagte, blieb mir in Erinnerung.
Wir leben immer nur das, was wir kennen. Was Anderes ist gar nicht möglich, denn was man nicht kennt, kann man nicht leben. D.h. Du bist mehr durch Deine Kindheit, Erziehung, Eltern etc. geformt als Du glaubst.
Die Sache mit der Wiederholung: ein Zeichen der Seele, die uns auf etwas hinweisen will. Hier, schau mal, Du bist schon wieder gescheitert. Schau doch mal mich an, ich schicke Dich immer wieder in dieselbe Sch..., weil ich Dir was sagen will. Aber Du nimmst mich nicht wahr, Du lässt mich nicht zu Wort kommen, Du läufst davon und versteckst Dich! Und ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Also schicke ich Dich in wieder kehrende Situationen, solange bis Du endlich mal mich auch wahrnimmst! So geht die Seele vor. Sie spricht nicht direkt, sondern diffus und hinten rum.
Wenn Du dann irgendwann den Mut hast, Dich auch mit ihr auseinander zu setzten, sie wahrzunehmen, ist sie zufriedener und muss nicht aus dem Verborgenen wirken. Denn Du hast sie dann in Dein Leben, Dein Wesen integriert. Du hörst auf sie, sprichst mit ihr und das hilft.
Und dann fand ich Briefe. Durch einen Zufall und eine Überschwemmung im Keller. In einem alten Möbelstück lag ein Päckchen Briefe, durchnässt. Alle von meiner Mutter an meinen Vater noch vor der Heirat.
Ich legte die Briefe zum Trocknen aus und ich wollte sie nicht lesen, aber einige las ich doch. Es war erschütternd, es war so, dass es mir förmlich den Boden unter den Füßen weg zog.
Die Briefe hätten von mir sein können! Eins zu eins, wie sie sich anstrengte, ihn zu erreichen, sich interessant zu machen. Es war erbärmlich und zeigte mir schonungslos, dass ich genauso war. Was sie schrieb, wie sie schrieb, wieviel Angst auch daraus sprach, dass er sie fallen lassen könnte! Das war ich!
Verdammt, der PT hatte Recht gehabt. Wir leben das nach, was wir kennen!
Es war so ziemlich das Schlimmste und zugleich das Erhellendste, was mir wiederfuhr. Mir wird heute noch ganz komisch, wenn ich daran denke.
Wer war ich? Was war ich? Wer bin ich? Ganz ehrlich, so genau weiß ich das heute noch nicht. Ich habe nur einen Weg gefunden, halbwegs klar zu kommen und einigermaßen gut durchs Leben zu kommen. Und das muss genügen.
Ich sage heute wie Gwen. Ohne Erfahrungen, die uns richtig weh tun, uns an Grenzen bringen, reifen wir, wenn wir dazu bereit sind, uns endlich mit uns zu befassen. Meine Therapie von früher: Abwarten, bis es nicht mehr weh tut.
Erst durch den Ex. kam ich weiter, weil ich auf einmal wusste: Es geht um mich! Ich kann nochmals 20 Jahre so weiter machen und davon rennen und dann bin ich alt. Richtig alt.
Als die Trennung kam, war ich 49. Ein gutes Alter, noch unter 50 immerhin. Bis ich tatsächlich weiter kam, dauerte es nochmals ein paar Jahre. Besser spät als nie.
Ich versuche gut zu mir zu sein. Das ist das Wichtigste. Seine Unperfektheit anzunehmen und sich mit den Blessuren, die zum Großteil andere unabsichtlich verschuldet haben, auszusöhnen.
Versöhnung ist das, was zählt. Sonst nichts. Versöhnung mit den Eltern, dem Schicksal, mit dem Partner und mit den eigenen Fehlern und Defiziten.
Sonnenblume