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von Daria27 » So 5. Jan 2020, 03:33
Du schreibst, er erfuhr emotionale und körperliche Gewalt.
Das lässt darauf schließen, dass er in seiner frühesten Kindheit kein Urvertrauen aufbauen konnte, ein sehr geringes Selbstwertgefühl hat und durch impulsives und oppositionelles Verhalten auffällt.
Bei mir wurde in meiner Jugend eine narzisstische, histrionische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Auch meine Kindheit war von Missständen geprägt, wobei ich nie geschlagen wurde. Ich kann mir viele meiner Verhaltensweisen, gerade auch in Beziehungen, damit erklären.
Warum dein Ex handelt wie er handelt, warum er ist wie er ist, kann ich nicht wissen, aber vieles kommt mir bekannt vor und ich kann versuchen dir meine Beweggründe zu erklären- und vielleicht sind es auch seine.
Zunächst einmal ist es für mich schwierig, überhaupt Beziehungen einzugehen. Ich hatte auch noch nie eine richtige, erwachsene und zukunftsorientierte. Zumeist fokussiere ich mich auf Menschen, die selbst eine schwierige Kindheit hatten oder generell ein von Problemen und Belastungen geprägtes Leben führen. Zum einen kann man so seiner Rolle als passivem Beziehungsvermeider dienen, zum anderen kann man sich an solchen Menschen intensiv und auf emotionaler Ebene abarbeiten.
Verliebt/verknallt bin ich beinahe jeden Monat und wenn ich ( oder er ) Pech haben, setzt das Gegühl Mechanismen in mir frei, die zunächst alles Positive aus mir hervor kramen. Ich spiele dann eher das nach, was ich von anderen Menschen kenne. Ich bin beschwingt, freundlich, gönne dem anderen seine Freiheiten und gaukel ihm vor, wir würden uns locker und unverbindlich kennen lernen. Diese Mal-sehen-was-wird Fassade, ist aber nur eine Tarnung. Wobei Tarnung nicht bedeutet, man hege böse Absichten. Es ist eher der Versuch, sich zur Selbstkontrolle zu zwingen. Denn in Wahrheit brodelt es bereits in einem. Das "Projekt" Partnerwahl, soll möglichst erfolgreich beginnen und abgeschlossen werden. Was das bedeutet, weiß ich selbst nicht, denn sobald der andere Gefühle zeigt, Nähe fordert oder ernstes Interesse zeigt, steigen sofort Ängste auf. Man fühlt sich einfach nicht wert, wirklich geliebt zu werden. Man hat Angst zu versagen ( etwas Dummes zu tun, zu sagen, nicht interessant genug zu sein, nicht so attraktiv wie gehofft usw. ). Es beginnt eine Spirale aus allen Ambivalenzen die man sich nur vorstellen kann. Der andere wird zum Luxusschlitten den man sich nicht leisten kann und den man nicht verdient hat. Den man nicht steuern kann. Trotzdem will man unbedingt drin sitzen und damit herum fahren. Entweder man parkt es am Ende wohlbehalten oder man hat es halt gegen die Wand gefahren. Hauptsache, man hatte es.
Ob er dich wirklich liebte weiß ich nicht. Nach vielen Jahren Therapie und der Selbstreflektion weiß ich, dass ich nie jemanden wirklich liebte.
Meine "Projekte" basierten auch auf Lügen. Ich wollte mich interessanter machen und immer etwas Abstand schaffen. Nie sollte einer zu viel wissen. Es vermischen sich dann auch viele Zutaten, bis man die einzelnen selbst nicht mehr heraus schmecken kann. Die Lügen sind eigentlich immer nur ein bisschen was von der Wahrheit an die man selbst gern glauben möchte. Ich habe es immer mit der Rolle verglichen die ich gerade am Anfang spielte. Du leierst herunter, was du bei anderen beobachtet hast und was positiv wirkt. Autisten können ja auch lernen Blickkontakt herzustellen und zu halten. Sie können Mimiken auswendig lernen und wissen so, wann einer glücklich oder traurig ist. Bei mir hatten Lügen nie den Hintergrund, den anderen für dumm zu verkaufen. Es war einfach nur der Rolle dienlich.
Fiese Lügen gab es selten ( z.B. über Krankheiten, Schwangerschaften usw. ). Da musste ich in einer emotionalen Ausnahmesituation sein und große Verlustängste haben. Wie ein Baby das schreit, weil es weiß nur dann kommt jemand und kümmert sich.
Das macht aber die Lügen nicht kleiner. Veräppelt kommst du dir zu Recht vor. Wie soll eine Beziehung ( auch eine platonische ) funktionieren, wenn man immer hinterfragen muss, ob der andere die Wahrheit sagt...
Was für mich ausschlaggebend war? Es ging um Machtkämpfe. Das Gefühl geliebt zu werden und umkämpft. Man lässt den anderen auflaufen und sich abarbeiten, denn nur so hat man das Gefühl, etwas wert zu sein. Für mich gesprochen wollte ich nie jemandem schaden. Es sollte ihm ohne mich nur nicht gut gehen.
Ich kann dir vieles gar nicht richtig erklären, denn es spielen viele Faktoren eine Rolle. Entscheidend sollte für dich aber sein, dass du mit ihm nicht glücklich sein wirst. Die Gründe sind unerheblich. Du solltest es dir auch nicht zur Aufgabe machen, ihm über ein Leid hinweg helfen zu wollen. Dazu braucht er professionelle Hilfe. Indem du dich um dich selbst kümmerst, auf dein eigenes Lebensglück fokussiert bleibst, so lange machst du alles richtig.
Deine Intuition täuscht dich nicht. Er hatte Zeit, an seiner Fassade zu werkeln. Vieles wird er noch eine zeitlang unterdrücken können, aber dann wird das Machtgefälle wieder von Neuem umkämpft. Er fordert Beweise deiner Liebe, mit der er nichts anfangen kann. Er hat es nicvt gelernt. Liebe und Verbundenheit zu anderen Menschen, sind mit anderen Assoziationen verknüpft. Oft ist es nur gut und spürbar, wenn es weh tut. Alles andere fühlt sich an, als würde dir jemand über deinen eingeschlafenen Arm streicheln.
Meine "Beziehungen" haben nie gehalten, auch wenn ich teilweise noch nach Jahren der Funkstille versucht habe Kontakt herzustellen. Vorallem wenn der andere längst über alle Berge war und woanders sein Glück fand. Das gab mir das Gefühl, das Spiel verloren zu haben und um mein eigenes Glück betrogen. Nie ging es dabei um den anderen, auch wenn Sympathie vorhanden war. Die eigenen Bedürfnisse sind so quälend, dass sie immer über denen des anderen stehen. Und so lange man daran nicht unter kompetenter Anleitung arbeitet, z.B. im Rahmen einer Verhaltenstherapie, wird sich daran nichts ändern.