Hallo, Zweifelchen,
was für ein ehrlicher Name! Tja, das ist nun die Lage. Er ist weg, Du warst abhängig von ihm und seiner Zuneigung, konntest Dich nicht lösen und nun schwanken Deine Gefühle hin und her.
Zweifelchen hat geschrieben:mit dem ich offen darüber sprechen kann.
Hatte ich damals auch nicht, das macht es schwerer.
Zweifelchen hat geschrieben:Ich bin in einen Mann verliebt, der nicht so wirklich in mich verliebt ist. Das ist ja noch nichts Außergewöhnliches.
Es gibt Frauen, die immer wieder in dieses Muster verfallen und sich instinktiv, aber mit sicherem Händchen einen unerreichbaren Mann aussuchen. Den Zwang zur Wiederholung nennt man das und der beruht auf einer Prägung, die meist aus der Kindheit stammt. Vielleicht musstest Du um die Zuneigung Deiner Eltern werben, vielleicht war Dein Vater irgendwie auch unerreichbar. Die Liebe, die Du gekriegt hast, war nicht genug und so nimmst Du dieses Muster in Dein Erwachsenenleben mit und lebst es in Beziehungen nach, denn so hast Du es ja gelernt und erfahren.
Das können nur Anstöße für Dich sein, die nicht unbedingt richtig sein müssen. Ich rede da mehr von mir, denn ich war auch in einer Beziehung, die mir nie das gab, was ich mir wünschte, aber gleichzeitig schaffte ich nie den Absprung, denn ich war emotional abhängig geworden ohne es zu merken.
Ich konnte es später aufdecken, sprich meine Defizite sind mir zumindest bewusst, damit aber natürlich nicht behoben. Aber man kann dann mehr auf sich achten und weiß, wo Gefahren lauern.
Zweifelchen hat geschrieben:Allerdings liebe ich ihn nun schon seit neun Jahren.
Ich glaube nicht, dass das stimmt. Du liebst das Bild, das Du von ihm gemacht hast (wie ich auch). Du projizierst Dinge in ihn hinein, die vielleicht gar nicht da sind. Wärest Du "normal", würdest Du niemals 9 Jahre auf ein Traumbild vergeuden.
Zweifelchen hat geschrieben:aber ich war auch ziemlich unsicher, was der Stimmung nicht so zuträglich war.
Das ist ziemlich logisch, denn Du fühltest Dich unter Druck. Seit Jahren hast Du an ihn gedacht, von ihm geträumt und auf einmal bist Du privat mit ihm zusammen. Deine Träume von ihm könnten sich nun erfüllen oder auch nicht, das war Dir klar. Und das baut einen emotionalen Druck in Dir auf und Du reagierst nicht so, wie Du es Dir vielleicht vorgenommen hast. Du bist überfordert und daher blockiert. Also ganz normale Reaktion.
Zweifelchen hat geschrieben:Und danach kam auch kein Treffen mehr. Er hat immer etwas anderes zu tun...
Du hast die Feuerprobe nicht bestanden und er zog sich zurück. Kein Interesse mehr, aber daran ist nichts zu ändern.
Zweifelchen hat geschrieben:Verliebt habe ich mich leider aus den falschen Gründen heraus, weshalb es mir auch schwer bis unmöglich fällt, ihn zu "vergessen" oder "aus meinem Herzen gehen zu lassen".
Nein, da bin ich anderer Meinung. Gerade weil Du erkannt hast, warum Du ihn hochstilisiert und in ihn projiziert hast, kannst Du auch wieder los lassen. Denn Dir ist bewusst, dass etwas bei Dir falsch lief bzw. läuft und Du einem Hirngespinst hinterher liefst.
Zweifelchen hat geschrieben:Ich habe ihn in einer Phase kennen gelernt, in der es mir nicht sehr gut ging, und er war auf unerwartete warmherzige Art für mich da und hat sich für mich eingesetzt, obwohl wir uns kaum kannten und in keinster Weise nahe standen.
Aber Zweifelchen, das ist doch glasklar. Du hast Interesse, weil Dein Leben so dahin läuft, nichts tut sich und Du bist emotional unterversorgt. Und gerade dann ist man offen für Kontakte. Da es einem aber nicht so gut geht, greift man oft zu einem Traumbild. Und dann war er nett und fürsorglich und Du hast gespürt, dass da auf einmal ganz warme Gefühle aufkamen, die er hervorrief, einfach weil er nett war. Und diese Gefühle wolltest Du weiterhin und wieder haben, was auch sonst, denn in der Dumpfheit warst Du lange genug. Er erscheint Dir nun wie der Ritter in der Not, der das arme Aschenputtel mit seinen depressiven Verstimmungen in ein glänzendes Beziehungsleben führt. Und daher warst Du von Anfang an in einer schlechten Ausgangsposition. Er der Retter, also der Überlegene und Du das arme Aschenputtel in Sack und Asche, dessen Wert nun endlich erkannt wird, von ihm nämlich. Bloß dass Dir der Schuh offenbar doch nicht passte ... und aus war es mit dem Traumprinzen.
Zweifelchen hat geschrieben:Ich weiß, dass das nicht gesund ist und unter diesen Umständen der emotionalen Abhängigkeit unter keinen Umständen eine die Partner gleichstellende Beziehung möglich ist.
Du erkennst genau, was mit Dir los ist! Bei diesen Kontakten hast Du gespürt, dass Du in der untergeordneten Rolle spielst und daher warst Du auch nicht frei im Agieren, denn Du hast etwas erwartet, was nur er Dir geben konnte.
Zweifelchen hat geschrieben:Er ist ein toller Mensch, und dass es mich verletzt, wenn er offensichtlich keinen Kontakt zu mir möchte, ist nicht seine Schuld, denke ich.
Ach was! Er ist ein normaler Mann, ganz gewöhnlich und Du hast eben in seine Schublade nicht gepasst. Vielleicht spürte er auch Deine Bedürftigkeit, dachte sich, dem bin ich nicht gewachsen und machte sich vom Acker. Und aus war es mit der Fürsorge! Er ist einfach verschwunden.
Eigentlich kein netter Zug, denn es spricht nicht gerade für so etwas wie Verantwortlichkeit. Vielleicht war er überfordert und beschloss sich, still und leise davon zu machen.
Es ist nicht seine Schuld, aber Deine auch nicht. Zweifelchen, Du zweifelst so sehr an Dir und das ist nicht richtig, das tut Dir nicht gut. Und warum zweifelst Du an Dir: weil Dein Selbstwertgefühl und Dein Selbstbild nicht in Ordnung sind. Du siehst Dich als minderwertig an und bist daher dem vermeintlichen Ritter oder Retter nicht gewachsen.
Zweifelchen hat geschrieben:Ich schwanke je nach Stimmung zwischen schmerzhaftem Vermissen und Dankbarkeit. Ich wünsche ihm immer alles Gute, aber dann macht mir mein Nickname alle Ehre und ich frage mich, ob ich mich damals nicht nur in ihm getäuscht habe. Er ist schließlich auch kein Heiliger.
Nein, offensichtlich nicht. Du hast Dich in ihm getäuscht, denn Du bist dem Trugbild nachgelaufen. Du kanntest ihn doch gar nicht, Du kanntest nur das Bild, das Du von ihm hattest und die warmen Gefühle, die er in Dir hervorrief. Du weißt nicht, wie er im Alltagsleben ist, Du sahst nur eine Art Außenschau, eine Hülle von ihm und das führt dazu, dass Du alles was Du Dir wünschst, in ihm siehst. Ist ja auch ganz einfach. Er ist so wenig vorhanden, dass er eine prima Projektionsfläche für Deine arme Seele ist, die nach Liebe schreit.
Zweifelchen hat geschrieben:weiß ich nicht, denn er nimmt keine Stellung zu meiner Frage, warum er sich mir gegenüber damals so verhalten hat.
Typisch Mann, emotionalem Stress gehen sie aus dem Weg. Und er hat für sich beschlossen, ich bin ihr schließlich nicht verantwortlich, wir hatten keine richtige Beziehung und so kann ich einfach gehen. Und überlege doch mal, was sollte er denn sagen? Wäre er ehrlich, müsste er vielleicht sagen: Du hast so bedürftig auf mich gewirkt und ich kann und möchte Deine heimlichen und unausgesprochenen Wünsche und Anforderungen nicht erfüllen, denn sie machen mir Angst.
Er weiß es vielleicht nicht mal, warum er sich so verhält oder aber er könnte doch gar nicht so schonungslos offen Dir gegenüber sein. Oder wolltest Du so etwas hören? Oder vielleicht: Ach nee, es war irgendwie nicht so, es hat sich nicht so gut angefühlt mit Dir.
Wäre das eine Hilfe? Nein, den das weißt Du selbst. Warum also würdest Du es von ihm hören wollen?
Und übrigens, Du willst schon wieder. Erst willst Du ihn und träumst ihm hinterher und jetzt willst Du, dass er einen klaren Schnitt macht, den Du selbst nicht schaffst. Was soll er denn noch alles tun? Seiner Meinung nach ist die Sache klar und er ist Dir nichts mehr schuldig.
Zweifelchen hat geschrieben: Ich würde im umgekehrten Fall auch einen Rückzieher machen, wenn ich merken würde, dass jemand seine ganzen Hoffnungen auf das eigene Glück in mich setzt. Das ist jedermanns eigene Aufgabe.
Genauso ist es. Ich bürdete meinem Bindungsphobiker auch zu viel auf, denn er sollte mein trostloses Leben richten. Mit ihm fühlte ich mich prächtig und bestätigt, ohne ihn war ich nicht mehr viel. Ich brauchte viel länger als Du um es zu erkennen, dass er dem nicht gewachsen war. Er wollte nicht derjenige sein, der mein Selbstgefühl richtet, weil ich mich selbst nicht lieben konnte. Ich liebte mich, wenn er mich liebte, was immer mehr bröckelte. Es war ihm zuviel und heute sage ich: er hatte Recht zu gehen.
Das darf ich einem Mann nicht aufbürden. Das ist mein ureigenster Egoismus und es ging mir weniger um ihn, denn er sollte ja nur seine Aufgabe erfüllen, sondern im Grund genommen um mich.
Zweifelchen hat geschrieben:ich seit fünf Tagen vor einem leeren Blatt Papier, auf dem ich notieren wollte, was ich für mich und mein Leben tun kann, um die Leere zu füllen.
Liebes, ich kann Dir das nachfühlen. Und es dauert und dauert und das Leben wird scheinbar nicht besser. Da ist keine Erfüllung, im Gegenteil ein Mangel und Frust macht sich breit. Das ist so, aber: es darf kein Dauerzustand sein. Das bist Du dir schuldig, das musst Du für Dich tun!
Es gibt kein Patentrezept: Tue dies und es wird alles gut und Du bist schmerzfrei.
Du weißt, wo Deine Defizite sind und Du weißt, dass Du selbst daran arbeiten musst. Das ist die halbe Miete, glaub mir.
Einige Tipps habe ich schon. Klar, ich rede mich leicht, ich habe das alles schon hinter mir, aber es gibt Dinge, die ein wenig hilfreich sind:
1. Sport. Machst Du, ist auch der richtige? Und der richtige Ort, wo Du ihm jederzeit begegnen könntest und Deine Fantasie und Deine Bedürftigkeit wieder neue Nahrung bekommen?
Vielleicht wäre ein Wechsel oder eine gewisse Abstinenz besser für Dich. Mach Aerobic oder so was. Musik und Bewegungen und Dein Kopf wird freier und damit auch Dein Herz. Du hast keine Zeit zum Grübeln und wenn es nur für eine Stunde ist. Und dort sind vielleicht auch andere Frauen und Du kannst Kontakte knüpfen und wenn es nur auf ein Getränk hinterher ist.
2. Kontakt und am besten zu Frauen. Frauen untereinander sind offener und auch lustiger. Du musst nicht von Deinem Kummer erzählen, aber nütze solche Gelegenheiten. Das ist wichtig, wichtiger als irgendein Mann, der Dir nur wieder weh tun würde. Solche Kontakte tun gut, ich weiß es. Gerade als er sich getrennt hatte, etablierte sich zufällig ein kleiner Stammtisch von drei bis vier Jahren. Wir treffen uns jede Woche. Ich hätte nie geklappt, dass ich dabei bleiben würde und dass es mir gefallen würde. Es geht nun schon drei Jahre so und ich freue mich jedes Mal auf die Mädels. Wir reden, manchmal ernst, manchmal belanglos und manchmal liegen wir fast unter dem Tisch - vor Lachen!
3. Weg mit dem weißen Blatt! Das brauchst Du nicht! Möble Dein Leben auf und halte die Augen offen. Das Leben bietet so viel, Du musst es nur ergreifen - und vor allem: TUN!
Gehst Du gerne ins Kino? Such Dir einen Film und gehe hin, auch alleine! Wolltest Du schon immer mal ins Theater gehen? Dann besorg Dir eine Karte und gehe hin, auch alleine. Du bist nicht einsam, nur weil Du allein etwas unternimmst, Du hast nur Angst vor dem Gefühl der Einsamkeit, das Dich überfallen könnte.
Singst Du gut? Vielleicht mal bei einem Chor nachfragen. Willst Du Zumba lernen? Dann tu es! Oder wolltest Du schon immer Spanisch lernen? Dann gehe an die VHS.
Du musst raus, an die Luft und unter Menschen, sonst versauerst Du und es geht Dir nicht besser, sondern schlechter.
4. Besorge Dir Ratgeber. Über Bindungsängste, die sich so wie bei Dir äußern können z.B. Oder darüber, was Du für Dein Selbstwertgefühl tun könntest.
5. Geh ab und zu ins Cafe. Manchmal lernt man dort Menschen kennen, meist nicht. Aber Du lernst Dich allein zu bewegen.
6. Fahr nach Berlin! Falls Du dort nicht wohnst. Berlin, das war die Stadt, in die ich immer mit ihm fahren wollte. Er kannte Berlin, ich nicht, ich war ja nur Lieschen Müller aus der Provinz, aber er, er würde mir Berlin zeigen. Denn alleine würde ich da nie und nimmer hin fahren. Zu viel Angst!
Einige Monate nach der Trennung war ein Kongress, in Berlin. Er war weg und ich war übrig, fühlte mich klein und verlassen und nutzlos.
Ich meldete mich zum Kongress an, buchte mein Hotel und meine Bahnfahrt und machte mich auf die Reise, mit viel Angst im Gepäck. Wie würde es mir dort gehen? Einsam und verzagt? Verlassen und ich würde mich dauernd verfahren, weil ich eine schlechte Orientierung habe? Ich hatte Angst vor dem Hotelzimmer, so ganz allein, wo ich doch viel lieber mit ihm ... Oh je! Ich stand mir selbst im Weg.
Es war gut, es ging alles gut. Ich verfuhr mich nicht, ich traf Kollegen auf dem Kongress und hatte jeden Abend etwas anderes vor. Es ergab sich - alles irgendwie von selbst. Erster Abend: Eröffnungsabend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, erst mit Kollegen, dann traf ich am Weinstand meinen ehemaligen Chef, der mich mit einer Kollegin aus Düsseldorf bekannt machte, mit Dir ich mich drei Tage später traf.
Zweiter Abend: zwei männliche Kollegen wollten nach Köpenick, eine Hochschule dort anschauen. Ich schloss mich an, es war eine halbe Weltreise, aber lustig. Danach waren wir essen in den Hackeschen Märkten.
Dritter Abend: Kongressparty in Kreuzberg. War auch nett und ich lernte einen Kollegen kennen, mit dem ich dann abtanzte und dann gemeinsam "nach Hause" fuhr, denn er wohnte auch am Alex.
Vierter Abend: der Kongress war aus. Ich hatte mir eine Konzertkarte besucht und ging dorthin. Es war ein schöner Abend und vor lauter Begeisterung ging ich dann noch in ein Lokal und bestellte mir einen Wein. Ich war allein und es ging mir gut. Endlich wieder.
Fünfter Tag: Was tun? Ab ins Nikolaiviertel und dann Schiffchen fahren und abends traf ich mich mit Charlotte, einer früheren Schulfreundin.
Dann fuhr ich heim und stellte fest: Berlin war mein Freischwimmer.
Ich brauchte ihn nicht, ich kam allein zurecht. Ich brauchte ihn nicht um mich gut zu fühlen. Es dauerte noch lange Monate, ehe ich ihn vergaß, aber ich konnte ihn nun gehen lassen. Er lebt sein Leben, mit einer anderen, ich meines.
Mir geht es wieder gut. Und warum? Weil ich wie Du erkannt habe, dass in meinem Leben etwas gewaltig schief lief. Dass ich hungrig war nach Liebe und Bestätigung, genau wie Du.
Einige Dinge habe ich erkannt:
Wenn ich mich selbst nicht annehme, wird es auch kein Anderer tun. Also lerne Dich selbst zu lieben, mit Dir klar zu kommen, Dich anzunehmen. Du bist nicht besser und schlechter als Andere, Du bist Du und das muss genügen.
Kein Anderer kann meine Defizite richten. Ich wollte das unbewusst von ihm richten lassen und das war falsch. Ich muss es selbst tun, wer Anderes kann es nicht leisten.
Weg mit den Projektionen und auf zu einer nüchternen Betrachtungsweise. Kein Mann ist nur gut und den Traumprinzen gibt es nicht, glücklicherweise. Und es gibt nicht nur einen Mann, der Dich glücklich machen kann.
Halte immer Deine Augen offen und Deine Ohren, sei offen für andere Menschen und überwinde die Scheu. Mach einfach was, irgend etwas. Du kannst auch nach Wanne-Eickel fahren, wenn Dir das lieber ist. Geh zur Frauengymnastik, lerne Stepptanz und verheddere Deine Beine, aber Du musst raus! Raus aus Deiner Höhle und wenn es nur der Stadtpark ist.
Und hab Geduld mit Dir. Das geht nicht so schnell, das musst Du lernen, aber das kannst Du auch. Und dann, wenn er verschwunden ist, denn glaube mir, er ist nicht wichtig, er zeigt Dir nur Deine Bedürftigkeit und ist somit ein Wegweiser für Dich, dann nimmst Du Dein Blatt Papier und schreibst drauf, was Du mit Dir angefangen hast. Und dann wirst Du eines sein: stolz auf Dich!
Sei immer stolz auf Dich und wenn Du es nicht bist, dann lerne es. Und dann findest Du auch einen Mann und kein Hirngespinst aus dem Fitnessstudio, der Dich nach einmal näher anschauen gleich wegwirft.
LG
Sonnenblume