Bindungsphobiker - 3 Fragen

Lässt sich meine Beziehung retten?
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suna
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Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von suna » Sa 12. Jul 2014, 10:16

Meine Geschichte kurz zusammengefasst: ich bin seit einem Jahr hoffnungslos in einen Mann verliebt, den ich mittlerweile als Prototyp eines Bindungsphobikers einstufen muss. (Zuerst pures Glück, gegenseitige Verliebtheit auf noch nie dagewesenem Level, dann nervenaufreibendes Nähe-Distanzverhalten seinerseits und jetzt arbeitsbedingt Distanz, wobei er immer darauf besteht, dass „es nicht aus wäre zwischen uns“). Die Ironie ist, dass ich selbst anscheinend latent bindungsphobisch bin. (Ich hatte in meinem bisherigen Leben zahlreiche Affären, aber noch nie eine richtige Beziehung mit beidseitiger Verliebtheit. Als ich ihn kennenlernte, schlug es ein wie eine Bombe, und zwar in einem noch nie da gewesenem Ausmaß. Ich konnte es nicht fassen, dass es ihm genauso ging und mehr noch, dass er offenbar nicht nur eine Affäre, sondern eine Beziehung wollte! Ich staunte über mich, dass ich erstmals (mit über 40!) trotzdem keinen Rückzieher machte! )
Wie dem auch sei: Ich las viel Lektüre zum Thema und mir ist bewusst, dass ich mir keine Hoffnung machen darf, dass er sich ändert. Zumal er mir eindeutige Signale gesetzt hat, dass er es nicht ernst meint: Unsere Treffen spielten sich ausschließlich an seinem Arbeitsplatz ab, er rief mich nie an, er gab mir nie seine Nummer, er bekannte sich nie vor seinen Freunden zu mir. (Diese hatten mich schon im Vorfeld gewarnt: Seit einer gescheiterten Beziehung vor 10 Jahren wäre er „beziehungsgestört“, er hätte seitdem nie eine Freundin gehabt. Aber sie erzählten auch, sie hätten ihn noch nie so verliebt erlebt wie er es in mich war). Dass ich mich überhaupt so tief in diese Sache fallen ließ, erkläre ich damit, dass unsere Begegnungen so vertraut und innig verliefen, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Da war eindeutig mehr als nur sexuelles Begehren, ich spürte tiefe Liebe wie nie zuvor.
Seit seiner arbeitsbedingten Distanzphase (mit der er offensichtlich gut zurecht kommt, obwohl wir keinen Telefonkontakt miteinander haben) überlege ich mir einen Plan B. Abschließen kann ich nicht. Wenn ich schon nicht mit ihm zusammen sein kann, dann brauche ich ihn wenigstens als Droge. Denn nach jeder (von mir initiierten) Begegnung laufe ich high durchs Leben, bin drei Tage wie auf Amphetaminen und weiß dann: Deshalb tue ich mir das Ganze an. Um diesen Rausch zu erleben. Doch danach kommt der Entzug. Die Zweifel. Die Leere. Die Hoffnungslosigkeit. Ich befürchte, für ihn ist unsere „Beziehung“ anscheinend im Stadium „Auslaufmodell, bis er eine andere hat.“. Für mich ist er die Liebe meines Lebens. Das angebliche Allheilmittel „Kontaktsperre“ bewirkt bei mir nur, dass ich jegliche Lebensfreude verliere, aber ihm scheint es egal zu sein. Kommt es allerdings zu einer Begegnung, füttert er mich mit Hoffnung. Und: Es ist dann jedes Mal so vertraut und innig und schön, dass ich „darauf vergesse“, ihn dazu zu bringen, Nägel mit Köpfen zu machen. Ich spüre in diesem Augenblick ein selbstverständliches Zusammengehörigkeitsgefühl und so eine intensive Nähe, dass ich keine Sekunde lang in Frage stelle, dass wir zusammen sind - egal ob die Rahmenbedingungen dem entsprechen, was man gemeinhin unter Beziehung versteht. Doch kaum vergehen danach wieder einige Tage ohne jeglichen Kontakt, trifft mich die Einsamkeit und Leere mit voller Wucht und ich fühle mich, als hätte ich ein Wahrheitsserum zu mir genommen.

Ich kenne eure Antwort. Ich soll abschließen. Andererseits denke ich oft: Wenn er schon nicht meine Liebe erwidert, dann möchte ich wenigstens aus egoistischen Gründen die Rauschphasen nicht missen.

Meine erste Frage lautet daher, warum gibt es gegen den Entzug jeder illegalen Droge ein Ersatzmittel, nur nicht gegen den Entzug, den man bei Liebeskummer durchmachen muss? Endorphine, Adrenalin? (Den häufigen Ratschlag, man möge die Trennung als Chance sehen, psychologische Erkenntnisse über sich selbst zu gewinnen, halte ich für keinen ausreichenden Ersatz. Ich bin überzeugt davon, dass nur etwas, das ebenso intensive Gefühle hervorruft, und nicht nur intellektuelle Aha-Erlebnisse, das Zeug dazu hat, den Entzug abzuschwächen.)

Zweitens: Gibt es denn nicht einen einzigen Fall einer Beziehung zu einem Bindungsphobiker mit einem Happy End? Ich lese hier (und auch in diversen Büchern zum Thema BP) nur davon, dass man einen Schlussstrich ziehen soll. Ich suche allerdings nach einer Methode, so empfinden zu können, wie er es tut: Also, dass er die Nähe genießt, wenn sie sich ergibt, sie aber offensichtlich nicht vermisst (oder woanders holt?), wenn der Partner nicht zugegen ist.

Drittens: Ich würde gerne Erfahrungsberichte von betroffenen BP lesen: Wie empfindet ihr die langen Phasen der Trennung? Genießt ihr die Freiheit so sehr, dass ihr nicht mehr an den Partner denkt? Quasi „aus den Augen aus dem Sinn“? Oder ist es so, dass sich erst durch den Abstand eine Sehnsucht entwickelt, die sich anfühlt wie Liebe?

Vielleicht kann mir ja jemand weiterhelfen? Danke!

Suhalley
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Re: Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von Suhalley » Mo 14. Jul 2014, 15:50

suna hat geschrieben:Wenn er schon nicht meine Liebe erwidert, dann möchte ich wenigstens aus egoistischen Gründen die Rauschphasen nicht missen.
Unter Egoismus versteht man zwar zum einen die Selbstsucht, und zu Süchten scheinst Du ja zu neigen, zum anderen aber auch die Eigenliebe, denn man selbst ist sich das Wichtigste - bei Dir hingegen kann ich, zumindest im Bezug auf diesen Mann, keine Eigenliebe erkennen und auch wie Du Deinen Suchtzustand beschreibst sehe ich das als sehr bedenklich. Darüber hinaus tust Du Dir selbst weder mit den Rauschphasen, noch den Tiefphasen, die darauf folgen, etwas gutes - Du bist also sozusagen voll im Selbstzerstörungsmodus.
suna hat geschrieben:Ich suche allerdings nach einer Methode, so empfinden zu können, wie er es tut: Also, dass er die Nähe genießt, wenn sie sich ergibt, sie aber offensichtlich nicht vermisst (oder woanders holt?), wenn der Partner nicht zugegen ist.
Du wünscht Dir tatsächlich so etwas grausames? Stellst Du es Dir schön vor, so zu empfinden bzw. nicht zu empfinden? Bindungsphobie ist meist eine frühkindliche Störung, diese Menschen sind zu großen Teilen meist sehr unglücklich darüber und leiden, weil sie den Wunsch nach Nähe und Geborgenheit zwar empfinden, diese dann aber nicht ertragen können. Das ist so in etwa wie in einer Wüste furchtbaren Durst zu leiden, eine Oase zu finden und das Wasser nicht trinken zu können, weil der Körper es abstößt!

DAS wünschst Du Dir?

Nebenbei bemerkt ist Dein Wunsch weitgehend undmöglich, da Du ja - wie bereits erkannt - genau den Gegenpol zu ihm bildest, dem passiven Bindungsvermeider; um so ein Konstrukt einzugehen benötigt es einen passiven und einen aktiven Pol; wenn er bereits den aktiven Pol einnimmt, bleibt für Dich nur die Rolle des passiven Pols - anderenfalls würdet ihr Euch wahrscheinlich niemals so sehr anziehen wie ihr es getan habt! Es gibt auch Fälle, da wechseln sich die Pole ab, mal nimmt einer den aktiven, mal den passiven Part ein; diese Beziehungen sind dann zwar auch nicht von Glückseeligkeit geprägt, aber sie halten ggf. etwas länger.
suna hat geschrieben:Wie empfindet ihr die langen Phasen der Trennung?
In erster Linie Erleichterung, so in etwa als könnten sie wieder atmen oder anhand meines oben genannten Beispiels wieder "trinken". Also als hätten sie etwas lebensnotwendiges zurückerlangt.
suna hat geschrieben:Genießt ihr die Freiheit so sehr, dass ihr nicht mehr an den Partner denkt?
Es gibt nicht DEN Bindungsphobiker...es sind auch nur Menschen und von daher würde ich dies nicht zu pauschalisieren.
suna hat geschrieben:Oder ist es so, dass sich erst durch den Abstand eine Sehnsucht entwickelt, die sich anfühlt wie Liebe?
Durch den Abstand (und damit meine ich genügend Abstand - der von Mensch zu Mensch variiert) wird eine Annäherung und der Wunsch nach Nähe überhaupt erst wieder möglich. Es kann schon sein, dass Sehnsucht entsteht, aber ich denke nicht, dass dieses Gefühl den Namen "Liebe" verdient hat.

Sonnenblume10
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Re: Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von Sonnenblume10 » Mo 14. Jul 2014, 16:52

quote="suna"] warum gibt es gegen den Entzug jeder illegalen Droge ein Ersatzmittel, nur nicht gegen den Entzug, den man bei Liebeskummer durchmachen muss? [/quote]
Es gibt keine Ersatzdrogen. Wenn Du eine Beziehung brauchst, um Endorphine und Adrenalin auszuschütten, stimmt etwas mit Dir nicht, denn dann stimmt Dein Leben nicht.
Warum hältst Du an einer Beziehung fest, die Dir nicht ansatzweise das gibt, was Du Dir wünschst? Warum lässt Du einen Mann, der Dir nicht gut tut, die Macht, über Dein Wohlbefinden oder Unbehagen zu bestimmen?
Warum brauchst Du eine Beziehung, um Adrenalin und Endorphine zu spüren? Weil Dein Leben inhaltsleer und schal war, aber er brachte im wahrsten Sinn des Wortes Leben in die Bude.

Du benützt ihn, damit Du Dich wenigstens zeitweise gut fühlst, Dich selbst fühlst und Du brauchst ihm, um Dein leeres Bild von Dir selbst zu füllen. Ist er lieb und nett, blühst Du auf. Ist er abweisend und kühl, leidest Du. Und er hat die Macht, Dich in eine Achterbahn der Gefühle zu stossen. Er ist Dein Motor, aber gleichzeitig schadet er Dir. Denn er raubt Dir Deine Energie.
Er raubt Dir Deine Selbstbestimmung, Deine Freiheit, Deine Würde und Deine Ehre, weil Du es zulässt. Weil Qual auch Leben bedeutet, Rausch, auch wenn er nur kurz ist.
Ohne ihn bist Du nicht viel und ohne ihn ist Dein Leben leer. Du hast den Löffel abgegeben, Dich in eine Beziehung voll Abhängigkeit, Sehnsucht und Selbstbetrug begeben.

Das alles liegt an Dir und in Dir selbst. Dich quält etwas, Deine Seele leidet und daher schickt sie Dich auf die Reise: in Beziehungen, die Du schon kennst, vermutlich aus Deiner Kindheit. Unerfüllter Liebeswunsch, Eltern, die Dir zu wenig Aufmerksamkeit schenkten, Eltern, die Dir irgendwie immer ferne blieben, auch wenn sie da waren. Solche Menschen wie ich und vermutlich auch Du, suchen unbewusst nach solchen Partnern. Denn Mr. Unerreichbar ist ja viel begehrenswerter als Herr Gewöhnlich von nebenan, der Dich anschmachtet, den Du aber nichts beachtetst. Denn er erscheint Dir langweilig und reizlos. Du suchst schließlich das Besondere: den Kick.
Und Du bist hochmütig: eine besondere Frau mit einer besonderen Beziehung und besonderen Problemen.

Andere Menschen? Nicht so wichtig, denn da ist ja er. Er beschäftigt Dich Tag und Nacht, er bestimmt Dein Fühlen.
Hobbies? Na ja schon, aber Dein Hobby ist eigentlich er. Die Nähe zu ihm und da Du die selten kriegst, eben die Sehnsucht danach. Du bist auch genügsam geworden, denn Dir ist klar: den Kuchen kriegst Du nicht. Aber besser ein paar Brösel als gar nichts. Für die vielen Augenblicke mit Leere und Traurigkeit kriegst Du auch etwas geboten: so was wie scheinbare Nähe, wundervolle Übereinstimmung, die wahrscheinlich nur Du fühlst und Adrenalin. Und vor allem eines: Hoffnung.
Die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf so etwas wie eine Beziehung, auf Zuneigung und Liebe.
Dein Leben ist eindimensional geworden, aber Du merkst es nicht. Du bist unfrei, denn Du bist abhängig geworden. Du hast Dein Szepter abgegeben, weil Dich etwas in Dir dazu treibt.
Und das solltest Du entlarven, ergründen und an die Oberfläche holen. In Dir wüten unerfüllte Sehnsüchte, maßloses Liebesbedürfnis und doch suchst Du dort danach, wo Du es nicht bekommst.
Du lebst ein Schmalspurleben und merkst es nicht. Eine Gefangene ihrer Triebe, ihrer Dämonen.
Und da solltest Du ansetzen, bei Dir selbst. Was treibt Dich, was geschah mit Dir, dass Du in solche Beziehungen gerätst, Dir Männer aussuchst, die Machtspielchen mit Dir spielen? Er spielt mit Dir, er weiß, dass er die Macht hat und er wird sie nie und nimmer abgeben. Er bewahrt seine Unabhängigkeit, seine Selbstbestimmtheit und gewährt Dir höchstens die Rolle als zeitweiliger Zaungast in seinem Leben.
Oh ja, er ist geheimnisvoll und unergründlich und Du glaubst, auf den Grund des Sees dringen zu müssen. Dann endlich wirst Du dort ankommen, wo Du hin willst: in einen Zustand permanenter Verschmelzung und Übereinstimmung.

Die Realität, das hast Du mittlerweile kapiert, sieht anders aus. Du bist genügsam, beschränkst Dich auf weniges, weil Du Dir das Viel nicht wert bist. Wenn er so ist, wie Du es brauchst, fühlst Du Dich prächtig. Wenn er nicht so ist, bist Du nichts mehr außer Leiden. Und Deine Bereitschaft zum Leid ist unermeßlich, denn Leid ist besser als Lösen.

Und so greifst Du Hände ringend nach Konstrukten: wie kann ich das bewahren, was ich habe oder besser, wie kann ich mehr bekommen und wie komme ich so weit, dass ich durch den Verzicht, den er mir auferlegt, nicht mehr leide?

Die Lösung des Problems ist das Loslassen. Das können wir nicht, denn wir halten fest. Wir wollen gestalten, den Anderen umformen und wenn wir begreifen, dass das der Holzweg ist, wollen wir doch darauf bleiben. Wir sind unfrei, weil wir keine Alternativen sehen bzw. weil uns diese schal und fad erscheinen.

Ich hatte auch so eine Beziehung. Sie dauerte 14 Monate, eine Fernbeziehung. Ich hatte ihn kennengelernt und wusste es sofort: keiner Interessierte mich mehr als er. Über Monate vergaß ich ihn nicht, obwohl wir uns nach diesem ersten dienstlichen Kennenlernen nicht mehr sahen.
Dann machte ich Nägel mit Köpfen: ein Kongress, auf dem wir uns trafen. Eine seltsame Übereinstimmung von Anfang an, so etwas wie Seelenverwandschaft, die ich empfand. Er würde es sein, er würde mein ödes fades Leben richten, er war der Ritter auf dem edlen Ross, der mich in eine glänzende Zukunft führte. Ich war ein Aschenputtel, das er retten würde.
Aber die Freude währte nicht lange, denn nach dem ersten Rausch der Verliebtheit bröckelte seine "Liebe" immer mehr. Er ging auf Abstand, wahrte Distanz, was meiner "LIebe" (meiner Sucht, zu der sie geworden war), keinen Abbruch tat. Denn wenn er mich nicht liebte, dann liebte ich ihn um so mehr. Glaubte ich zumindest.
Heute weiß ich mehr: ich liebte das Bild, das ich von mir hatte, als ich mit ihm zusammen war. Als eine Frau, die "besonders" war. Und da ich mich nie sonderlich mochte, brauchte ich immer einen Mann dazu, damit ich mich selbst lieben konnte, zumindest zeitweise. Ich liebte mich sozusagen durch den Mann und suchte mir dabei doch den aus, der mir das nicht ermöglichte. Aber da gab es dann eben doch die Augenblicke, nach denen ich gierte und nach denen war ich süchtig, genau wie Du.

Natürlich ging das schief, denn das ist ungesund. Eine Beziehung ist nicht dafür da, dass wir leiden. Sie soll unser Leben bereichern, schöner machen, Geborgenheit und Stabilität geben, eigentlich. Aber wir selbst vermeiden das, indem wir die falschen Partner suchen. Nämlich solche, die uns das alles nicht geben. Dann ist unser eigentliches Programm erfüllt: eine Beziehung funktioniert nicht, ich muss mich davor schützen und das tue ich, indem ich mir die falschen Partner aussuche. Diejenigen, vor denen mich andere warnen, denn sie sehen schon längst, was los ist. Er vermeidet die Beziehung, indem er Dich kurz hält und seine "Freiheit", seine Selbstbestimmung wahrt. Du kommst von hinten, denn eigentlich willst Du ja eine Beziehung, aber warum suchst Du dann beim Falschen danach. Weil Du es insgeheim auch vermeiden willst. Du bist keine Liebe wert, das hast Du verinnerlicht und danach lebst Du.
suna hat geschrieben:Meine erste Frage lautet daher, warum gibt es gegen den Entzug jeder illegalen Droge ein Ersatzmittel, nur nicht gegen den Entzug, den man bei Liebeskummer durchmachen muss? Endorphine, Adrenalin? (Den häufigen Ratschlag, man möge die Trennung als Chance sehen, psychologische Erkenntnisse über sich selbst zu gewinnen, halte ich für keinen ausreichenden Ersatz. Ich bin überzeugt davon, dass nur etwas, das ebenso intensive Gefühle hervorruft, und nicht nur intellektuelle Aha-Erlebnisse, das Zeug dazu hat, den Entzug abzuschwächen.)
Dann such mal schön. Ich wette, Du findest es nicht, außer Du nimmst noch andere Drogen: Crystal Meth zB.
Da kriegst Du auch Hormenschübe durch die chemische Keule, machst Dich aber noch abhängiger.
Du strebst nach Glück, nach Harmonie, nach Wohlbefinden, momentan wäre sogar Schmerzfreiheit etwas. Du kannst das alles finden, aber es ist nicht umsonst.
Es bedeutet Verzicht: den Verzicht auf ihn. Ich wette, Du fühlst augenblicklich Sehnsucht nach ihm. Du weißt, dass das die einzige Lösung wäre, aber die schaffst Du nicht. Lieber leiden als den eigenen Weg finden.

Der Verzicht beschert Dir noch mehr Kummer, Sehnsucht, Schmerzen, aber das alles hast Du ja jetzt auch schon. Und eines Tages kommt die Trennung, die er aussprechen wird. Er wird Dich eines Tages aus seinem Leben kicken und Du bist da, wo Du immer warst: auf dem Abstellgleis, ohne Drogen, ohne eigenes Leben, denn das hast Du bei ihm gelassen.
Aber der Kummer vergeht, schwächt sich ab, weil Du leben willst und wieder so etwas wie Glück suchst. Also rappelst Du Dich auf, unternimmst Dinge, triffst Dich mit anderen Menschen, aber alles erscheint Dir als schnöde Beschäftigungstherapie. Aber Du weißt auch, dass das alles noch besser ist als weiterhin alleine zu leiden.
Und irgendwann wird es besser. Du fängst an, solche Dinge wieder zu schätzen. Ein Abend mit Freundinnen, ein Abend voller Fröhlichkeit, an dem Du ihn vergisst. Du lernst wieder, Freude an kleinen Dingen zu empfinden. An einer Reise für Dich allein, an einem Kinobesuch, einem Theaterbesuch, einer Sportstunde. Und dann merkst Du, dass Dein Leben eindimensional geworden war und Du anfängst, scheinbare Kleinigkeiten Wert zu schätzen. Du bist es Dir wert, wieder mehr Lebensfreude zu empfinden, neue Menschen kennen zu lernen, weil Du offener bist für sie. Du bist es Dir wert, Dir Gutes zu tun. Und Du bist es Dir wert, Deine Freizeit mit Menschen zu teilen, die Dir gut tun. Keine Ergieräuber, die Deine Energie aussaugen und Dich dann im Regen stehen lassen. Du wählst aus und auf einmal merkst Du, dass es Dir besser geht. Dass es Dir sogar entschieden besser gehst als mit diesen zweifelhaften Berg- und Talfahrten, die in Deinem vorherigen Leben präsent und bestimmend waren. Du bildest Dir ja selbst ein, dass Du ohne sie nicht leben kannst!

Und dann fängst Du an, ihn als das zu sehen, was er war. Als einen Gefangenen seiner Ängste, als einen deformierten, der sich selbst kein Glück gönnt.
Und dann siehst Du die armselige Beziehung im Rückspiegel: wie Du Dich selbst verbogen hast, Dich eingelullt hast, Deine Illusionen gepflegt hast und ganz nebenbei zum Scheitern beitrugst. Denn wer sich selbst schadet, der schadet auch anderen.
Und dann findest Du vielleicht die Gründe für eine selbstquälerische Beziehung in Dir. Du holst die Dinge, die zwar da sind und in Deinem Unterbewusstsein wüten, an die Oberfläche. Du stellst Dich Deinem Leben, Du ergründest, warum Du bist wie Du bist. Das tut weh, denn e schmerzt, denn Erinnerungen schmerzen. Aber in dem SChmerz gewinnst Du auch etwas: Du erkennst Dich besser als früher. Du weißt, warum Du Dich in solchen Beziehungen gequält hast. Denn immerhin bist Du 40 und immer noch nirgends angekommen, am wenigsten bei Dir selbst.
Das ist das Ziel: bei Dir ankommen, Dein Leben zu richten, ohne ihn als Putschmittel zu missbrauchen, Dich anzunehmen mit allen Ecken und Kanten und Dich gut zu finden.
Und dann hast Du es auf einmal nicht mehr nötig. Den Zwang zur Wiederholung, Beziehungen, die Dir schaden, Männer, denen Du nichts wert bist, weil Du Dir selbst nichts wert warst. Du erntest, was Du säst. Wenn Du Dich nicht selbst lieben kannst, wirst Du nicht geliebt. Wenn Du Dir mehr nicht wert bist, bekommst Du auch nicht mehr als einer Schmalspurbeziehung, die Dir die Illusion gibt, Du hättest eine.
Glaubst Du wirklich, dass die Beschäftigung mit Dir selbst langweilig ist? Glaubst Du wirklich, es ist reizlos, seine Probleme zu erkennen und seine Dämonen zu entlarven und zu bändigen? Wenn ja, verstellst Du Dir den Weg zu innerer Reife und zur Freiheit. Freiheit, sich nicht in schlechte Beziehungen zu begeben. Und weil in Deinem Leben kein Platz mehr ist für Männer seiner Sorte, bleiben sie auf einmal weg. Du brauchst sie nicht mehr, um Dein armseliges Leben zu puschen. Denn die Männer spüren, dass Du eine Frau mit Ansprüchen bist, die sich nicht verbiegt für ein kleines bisschen Liebe.
suna hat geschrieben:Gibt es denn nicht einen einzigen Fall einer Beziehung zu einem Bindungsphobiker mit einem Happy End?
Ich kenne keinen. Ich bin selbst von dieser Sorte und ich weiß, ich kann eine Beziehung nur halten, wenn sie mir nicht allzu viel abverlangt und ich meine innere Freiheit fühle.
Ein Happy End kann es nur geben, wenn man sich selbst ändert. Aber die Änderung setzt Distanz voraus, Distanz zum Partner. Denn nur durch die Distanz können wir erkennen und uns selbst finden. Und wenn Du das gefunden hast, den Weg zu Dir, Deinem Selbst, brauchst Du solche Partner nicht mehr.
suna hat geschrieben: Die Ironie ist, dass ich selbst anscheinend latent bindungsphobisch bin.
Was glaubst Du, warum Du so auf ihn geflogen bist? Bereits ganz am Anfang hat Dein Unterbewusstsein registriert, dass ER etwas Besonderes für Dich sein würde. Denn er war oder ist wie Du und genau deswegen bist Du an ihn geraten.
Du bist auch von der Sorte Bindungsvermeider und diese Menschen geraten fast zwangsläufig an ebensolche. Sie "riechen" das förmlich, nehmen es an 1000 kleinen Signalen unbewusst war. Es kommt einem vor, als hätte man das Puzzleteil zum eigenen Selbst gefunden und nur mit dem Partner fühlt man sich vollständig.
Daher schlägt eine Begegnung oft wie eine Bombe ein und man ist oft nach der ersten Begegnung wie paralysiert. Man sieht ihn - und weiß es: der ist es und sonst keiner.
Ab da gibt es nur noch einen Gedanken: ihn.
Aber das hält nicht, das siehst Du selbst. Du willst Liebe bei einem Partner, der lau ist, der kaum Liebe empfinden kann. Er ist innerlich ein Eisschrank. Er kann nichts dafür, er wurde dazu gemacht, aber das hilft Dir auch nichts. Er braucht Dich nicht, nur Du brauchst ihn.
suna hat geschrieben: Ich suche allerdings nach einer Methode, so empfinden zu können, wie er es tut:
Warum gibst Du Dich mit einer Schmalspurbeziehung zufrieden? Wieder sind wir bei Dir angelangt. Du gönnst Dir keine bessere Beziehung, die diesen Namen auch verdient. Und daher suchst Du einen Trick, um zumindest Schmerzfreiheit zu erlangen. Das wird Dir nicht gelingen, solange Du an dieser Beziehung fest hältst, denn gegen Sucht gibt es nur ein Mittel: knallharten Entzug.
Und es wird Dir nicht gelingen, solange Du Dir selbst ständig aus dem Weg gehst und Dich mit seinen Problemen befasst, anstatt Deine zu lösen. Er hat durchaus eine Funktion, denn er kam nicht ohne Grund in Dein Leben: er ist Dein Wegweiser, eine Aufforderung, Dein Leben in Ordnung zu bringen und zwar ohne ihn. Mit Dir selbst klar zu kommen, Dich anzunehmen, obwohl Du so und so viele Fehler hast und es 1000 Gründe gibt, Dich nicht zu mögen.
Du hast nur dieses eine Leben, also vergeude es nicht, indem Du Dich selbst beschränkst. Keine Beziehung zu haben ist allemal besser, als solch eine.
Die Methode, die Du suchst, ist innerer Abstand und Distanz, die Du aber nicht entwickeln kannst, solange er in Deinem Leben ist. Der Preis dafür wäre Lauheit und genau das willst Du ja nicht.
suna hat geschrieben:: Wie empfindet ihr die langen Phasen der Trennung? Genießt ihr die Freiheit so sehr, dass ihr nicht mehr an den Partner denkt?
Die langen Phasen der Getrenntheit waren Quälerei. Voll von Selbstbetrug (eines Tages wird er ..., ich muss nur so und so sein, dann ... usw.) und Sehnsucht und Misstrauen und Eifersucht (er wird doch nicht etwa schon eine Andere im Visier haben, denn ich merke ja, wie kühl er ist? Wo sind nur die schönen Zeiten hin, die mir so viel Glück bescherten, das ich gar nicht fassen konnte? Was ist nur passiert mit uns? Bestimmt liegt es an mir, dass er nicht halb so viel Sehnsucht hat wie ich. Ich bin einfach nicht gut genug, nicht attraktiv genug, langweilig und reizlos. Ich bin sicher nur eine Übergangslösung, denn jederzeit kann eine Andere in sein Leben kommen, die noch keine Probleme macht und neues Glück verheißt. Und warum kann ich einfach nicht glücklich sein, wo er sein Leben scheinbar durchaus glücklich leben kann, auch ohne mich!). Das war mein Leben zu den Zeiten, in denen ich ihn nicht sah. Dazwischen mal ein Anruf (Oh wie schön, er denkt an mich!), eine SMS (ach wie lieb, aber seltsam, am liebsten hat er mich, wenn ich nicht da bin) oder eine Mail (huch, ich habe doch noch ein wenig Anteil an seinem tollen Leben!).
Und zu den Zeiten, wenn ich ihn sah. Ich hatte eigentlich Angst, Angst vor dem nächsten Distanzmanöver, das er aus dem Ärmel schütteln könnte, Angst vor verbalen Zurückweisungen, die mich von gefühlten wohligen 25 Grad in einen Eiskeller stürzten, Angst vor Kränkung, vor Verletzung. Vor allem das, Angst vor noch mehr Verletzung.
Das Fatale ist, ich wusste das alles und doch konnte ich nicht die Finger davon lassen. Ich war getrieben, fremdbestimmt und gefangen in Liebessehnsucht und gleichzeitigem Liebesfrust.
Das Beste war, dass er aus meinem Leben ging, sich davon machte, denn ich war lästig geworden. Meine unausgesprochenen Wünsche und Forderungen hatten ihr Werk getan. Er hatte sie gefühlt, auch wenn ich sie nicht aussprach, mich scheinbar mit dem zufrieden gab, was er mir zugestand.

Danach erst wurde mir erstmals bewusst, dass ich ein Wiederholungstäter war. Von Beziehung zu Beziehung immer auf der Suche war, nach dem einen, der mir das gab, was ich vermisste. Weil ich mir selbst nicht genug sein konnte, mich unvollständig fühlte ohne Partner. Und dann wurde mir klar, dass ich etwas in mir ändern musste und dass etwas mit mir nicht stimmte.
Das ging durch Bücher, durch Zeit, durch Nachdenken und auch durch einen Therapeuten. Ich war zwar nur zweimal dort, aber durch die Gespräche mit ihm wurde mir bewusst, dass das eigentliche Problem in mir lag und er nur das Mittel zum Zweck war, das zu erkennen und zu entlarven. Einige Zufälle wie Briefe meiner Mutter an meinen Vater, die mir in die Hände fielen, aus der Zeit vor der Eheschließung öffneten mir die Augen: ich lebte das Beziehungsmuster nach, das sie unbewusst vorgelebt hatte. Die Briefe hätten von mir sein können. Ich war peinlich berührt und beschämt.
Ich begriff, dass ich selbst für mein Leben verantwortlich war und dass eine Beziehung meine Probleme nicht lösen konnte, denn sie war nur die Bühne für die Aufführung eines Dramas.
Meine frühere Rechthaberei (Dir wird es schlecht gehen und mir gut, Du elender Wichser! Ich wünsche, dass Du tot wärst! Ich bin ja viel besser als Du und Du hattest mich ja gar nicht verdient!) machten Einsicht und Versöhnlichkeit Platz.
Er war wie ich und ich hoffe sehr, dass es ihm heute besser geht als mit mir.
suna hat geschrieben: Oder ist es so, dass sich erst durch den Abstand eine Sehnsucht entwickelt, die sich anfühlt wie Liebe?
Da ist was Wahres dran. Durch den Abstand entwickelt sich Sehnsucht, die eigentlich nur Begierde ist und das meine ich nicht nur in sexueller Hinsicht. Das allerdings hat mit Liebe gar nichts zu tun, denn er gibt Dir etwas, was Dir fehlt und das ist Dir auch klar. Du benützt ihn und Du missbrauchst ihn damit, denn er soll Dir das geben, was Du selbst nicht findest.
Um das zu finden aber brauchst Du Abstand. Nicht nur zeitweise, sondern ganz, also die Trennung mit Entzugsschmerzen. Da musst Du durch. Deine Enttäuschung über ihn und über Dich, Deine Wut über sein und Dein Unvermögen müssen heilen können. Das braucht Zeit. Und dann ist der Weg frei: zu einem anderen Leben, das wirklich so etwas wie innere Freiheit bedeutet.
Und dann kannst Du ihn auch mit Liebe im Herzen "sehen", also an ihn denken, denn er war einzigartig. Er hat Dir die Sterne vom Himmel geholt und sie Dir wieder geraubt. Und er war Dir nah, weil er ähnlich defizitär warst oder ist wie Du.
Er war wie er war, aber zusammen konntet ihr nicht gehen, denn zwei Lahme können keinen Gipfel besteigen. Du wirst an ihn denken, mit einem guten Gefühl im Herzen, aber Du musst nicht mit ihm Leben, denn Du hast ihn entlassen: in ein Leben seiner Wahl, so wie Du ein Leben Deiner Wahl führst.

Er ist Dein Wegweiser zu Dir selbst: Ob Du ihn wahrnimmst und als solchen würdigst, bleibt Dir überlassen. Der Weg führt immer zu uns selbst zurück. Wenn wir den nicht gehen wollen, ihn missachten, ihn umgehen, aus Angst und Feigheit, bleiben wir in der Sackgasse stecken.
Du hast die Chance, etwas aus Dir und Deinem Leben zu machen. Ob Du sie nützt und die Kraft der Selbsterkenntnis als Ziel zu einem freieren Leben nützt, liegt an Dir. Du kannst Dich auch weiterhin hinter Äußerungen wie der verstecken:
suna hat geschrieben:Den häufigen Ratschlag, man möge die Trennung als Chance sehen, psychologische Erkenntnisse über sich selbst zu gewinnen, halte ich für keinen ausreichenden Ersatz.
Lg
Sonnenblume

suna
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Re: Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von suna » Di 15. Jul 2014, 09:49

@Sonnenblume,@Suhalley
Zuerst einmal danke, dass ihr euch Zeit genommen habt, meine Fragen so ausführlich zu beantworten :-)
Ihr sprecht sehr viele wahre Dinge an, und einiges muss erst einmal sacken.
Ein paar Dinge möchte ich allerdings klarstellen. Vielleicht war es etwas untertrieben, wenn ich schrieb, ich wäre nur latent bindungsphobisch. Laut meiner Biografie dürfte ich massiv bindungsphobisch sein: Es gab bisher drei Männer, in die ich mich verliebt hatte: zwei davon „Stars“ (ich war also Groupie), einer mein Onkel (zwar nicht leiblich verwandt, aber dennoch tabu und daher wurde auch hier nie mehr daraus als einseitige, geheime Schwärmerei). Sex hatte ich reichlich, da ging es mir aber nur um den Spaß, Gefühle waren da kaum im Spiel. Und wenn sich einer dieser Männer in mich verliebte, verlor er sofort an Respekt bei mir. Ich war noch nie in einer Beziehung, es gab also niemanden, von dem ich behauptet hätte, wir wären zusammen. Es gab Freundschaften zu Männern, die teilweise auch im Bett endeten. Doch da gab es von keiner Seite her ein Exklusivrecht aufeinander. Mit einem Mann zusammen wohnen gab es folglich nicht einmal als Gedankenexperiment.

Nach dieser zugegebener Maßen etwas zu wilden Phase schlug das Pendel in die Gegenrichtung aus: Ich lebte mehrere Jahre wie eine keusche Nonne. Mein Kopf regierte: Abgeklärt und nüchtern analysierte ich mein Leben – Gefühle hatten keine Chance, da sie schon im Ansatz wegrationalisiert wurden. In dieser Zeit mangelte es mir an nichts. Ich fühlte mich ausgeglichen, Probleme sah ich als intellektuelle Herausforderung, ich war beruflich erfolgreich, pflegte meine Freundschaften. Und natürlich hatte ich längst durchschaut, dass mein Bindungsproblem aus der Kindheit herrührte: Der Vater, der nicht erreichbar war, Sehnsucht nach Geborgenheit, die ich nie bekommen hatte (ich wurde von meinen Eltern nie umarmt, geküsst, getröstet,...), andererseits das Übungsfeld „viele Brüder“, wodurch ich mir den lockeren Umgang mit Männern erkläre... Was ich damit sagen will: Ich verschließe nicht die Augen vor meiner eigenen Schattenseite. Selbsterkenntnisse sind wichtig und ich bin die letzte, die sich aus Prinzip dagegen wehrt, bei sich selbst nachzuschauen.

Doch mitten in diese Phase platzte „er“ hinein. Ein optisches Konglomerat aus den drei Männern, in die ich mich bis jetzt verliebt hatte. Ein Mann, der sich auch in mich verliebt hatte, ohne dass ich den Respekt vor ihm verlor. Der sogar eine Beziehung mit mir wollte. Mit einem Schlag war es vorbei mit dem abgeklärten Analysieren. Ich erlaubte mir erstmals in meinem Leben, mich gefühlsmäßig fallen zu lassen. Spürte so etwas wie die symbiotische Verschmelzung, nach der ich mich ein Leben lang gesehnt hatte. Heulte in seiner Umarmung vor Glück. Das Schöne war, ihm schien es genauso zu gehen. Doch je inniger es war, desto größer war am Tag danach sein Bedürfnis nach Abstand. (Er war immer höflich distanziert, es gab nie Streit. Das Verletzende waren die Rahmenbedingungen, die er gesetzt hatte, also dass er mich nie in seiner Freizeit treffen wollte, etc.- nie jedoch verbale Verletzungen. )

Ich befinde mich durch ihn in einer neuen Lebensphase. Das Lebensmotto „Jeder Tag beschert mir geistige Erkenntnisse“ wurde vom neuen Lebensmotto abgelöst: „ Jeder Tag bringt mir intensive Gefühle“. Und da ich nun mal der Mensch bin, der sich immer in einem Extrem aufhalten muss, kann ich mir keinen Kompromiss vorstellen. Weil ich Gefühle gerade so intensiv erlebe, erscheint mir alles Kopflastige so trocken und leer. Mir kommt es so vor, als würde ich jemandem, der die schönste Musik hört, der sich dabei fallen lässt und dazu träumt, die Kopfhörer abnehmen und sagen: „Das ist doch alles Illusion, in Wahrheit sind das nur Schallwellen und deine biologische Reaktion darauf. Denk mal drüber nach.“ Auch wenn das stimmt - das geistige Wissen um die Zusammenhänge fühlt sich doch niemals so gut an wie die Musik es tut, oder?
Deshalb denke ich, andere intensive Gefühle haben eher das Potenzial dazu, die Gefühle des Liebeskummers zu übertönen.
Grüße, Suna

suna
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Re: Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von suna » Di 15. Jul 2014, 10:46

@Sonnenblume
Ich habe jetzt noch einmal gelesen, was du geschrieben hast. Du schreibst sehr hart und gnadenlos. Die Wahrheit tut weh, deshalb war mein erster Impuls offenbar, mich zu rechtfertigen anstatt auf deine Worte einzugehen. Doch deine Worte waren nicht umsonst, es beginnt schon in mir zu arbeiten...
LG
Suna

Sonnenblume10
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Re: Bindungsphobiker - 3 Fragen

Beitrag von Sonnenblume10 » Di 15. Jul 2014, 17:14

Ich weiß, liebe Suna, ich schreibe hart und ich bin in meinen Analysen gnadenlos, allerdings oft auch zutreffend. Nicht jeder kann damit umgehen.
Alles, was Du schreibst, kommt mir einfach sehr bekannt vor und ich kann Dein Leid nachvollziehen, denn ich kann mich an den Schmerz in mir bestens erinnern. Der ist im limbischen System im Gehirn, im sog. Gefühlsgedächtnis bestens abgespeichert und ich kann ihn sofort wieder empfinden: meine Angst, mein Unvermögen, meine Eifersucht auf ihn, weil ich viel zu wenig Anteil an seinem Leben hatte und auch das Gefühl des Ausgeliefert Seins.
Genauso kann ich mich an wundervolle Augenblicke voll Übereinstimmung erinnern, an großartige Glücksgefühle, die jedoch im Vergleich zu den schlechten Erinnerungen sehr wenig waren.
Und genau das ist es, was uns bei diesen Männern hält, diese einzigartigen Hochflüge, die wir zu Glück hochstilisieren, eben weil sie selten sind. Gehörte das zu unserem Beziehungsalltag, würde die Begeisterung sehr schnell abflachen und würde einem "normalen" Glück Platz machen.

Du hast durch Deine Biografie keine guten Startvoraussetzungen für eine glückliche und gelungene Beziehung, das ist leider so. Allerdings ist solch ein Mann keine Lösung, denn er beschert mehr Leiden als Glück und Geborgenheit. Du hast nicht mal seine Telefonnummer! Und das lässt Du Dir bieten???!!!

Du suchst nach Dingen, die Dir den besonderen Kick geben. Dafür ist eine Beziehung mit einem Bindungsphobiker der aktiven Sorte bestens geeignet. Aber kann das ein Lebensinhalt sein und auf Dauer?
Eher nein, denn Du weißt selbst, dass Du vermutlich nur eine Übergangslösung bist, ehe sich eine neue Frau, ein weißes Blatt Papier findet, auf das er alles projizieren kann, was er begehrt. Das ist das eigentlich Quälende, weil man immer seine Beliebigkeit fühlt. Ich ging neben ihm her auf einem Spaziergang, die Abendsonne ließ den frisch gefallenen Schnee erstrahlen und ich trottete neben ihm her. Er sprach von sich - was auch sonst, denn er interessierte sich nicht sonderlich für mich und mein Leben. Es hätte alles so schön sein können und doch fühlte ich mich blockiert. Denn mir war auf einmal klar, ob jetzt Sandra, Anna oder ich neben ihm gehen, ist eigentlich nicht von Bedeutung für ihn. Ich fühlte mich austauschbar, nie in meiner Gesamtheit von ihm wahr genommen und so ging es mir oft.
Er sprach oft von sich, seinem Leben, seinen Interessen und oft genug schien bei ihm das Thema Selbstbestätigung durch viele Aussagen: ich habe Frau XY von der Firma Soundso kennengelernt ... oder : Herr Y hat mir jetzt das Du angeboten, was durchaus nicht häufig vorkommt ... usw.
Immer wieder hörte ich solche Aussagen und erkannte dahinter sein viel zu schwaches Selbstwertgefühl, denn er brauchte Bestätigung von außen, saugte sie förmlich auf. Auch ich hatte permanent Probleme mit dem Selbstgefühl, denn oft genug plagten mich meine Dämonen: ich bin nicht gut genug, alle Anderen können dies und jenes besser oder auch: die Anderen merken, dass ich eigentlich nicht viel drauf habe.
Wenn er mich dann bestärkte, dann wuchs mein Selbstgefühl, zumindest zeitweise. Wenn er es sagte, musste ja doch etwas Wahres dran sein.
Heute arbeite ich vehement an mir selbst: ich bin etwas wert, ich leiste etwas und ich bin mindestens so gut wie Andere. Ich lasse mich von meinen Dämonen (ein Erbe aus meiner Kindheit) nicht mehr niederbügeln.

Vor eineinhalb Jahren lernte ich einen Mann kennen, meinen Shiatsu-Masseur. Es war eine eigenartige Anziehung zwischen uns, die aber nie thematisiert war. Und doch war in diesem Raum oft eine ausgesprochen dichte Atmosphäre. Wir umkreisten uns, zogen uns hinter Fassaden zurück und hatten doch Interesse aneinander. Ich bin mir sicher, auch er ein Bindungsvermeider (schon lange geschieden, drei Kinder, mit Freudin versehen). Ich wusste sofort, der ist wie Du. Da ist etwas Dichtes, etwas Wissendes zwischen uns.
Ich fiel in alte Muster zurück: Er war ja so toll, der glorreiche Shiatsu-Meister und ich nur Frau Gewöhnlich mit keinem Zugang zu seiner fernen Welt. Oh ja, er war spannend und klug und in anderen Sphären zu Hause, eine attraktive Mischung weit wenig vom gewöhnlichen Mann, der am Samstag seinen Rasen mäht und abends mit Frau und Kindern im Garten grillt.
Und da bemerkte ich es: schon wieder mal tat ich das, was ich immer wieder getan hatte. Ich hob den Mann auf einen Sockel und gab mir selbst die Position zu seinen Füßen, wie selbstverständlich, auch wenn es nur in Gedanken war.
Ich sagte mir: Stopp, Moment mal, so nicht! Es gibt kein drunter und drüber, es gibt nur eine Beziehung auf Augenhöhe und ich werde mein Selbstbewusstsein nicht wieder kaputt machen lassen, indem ich ihn glorifiziere. Also runter mit ihm vom Sockel!

Irgendwie spürte er meine veränderte Haltung. Es ist interessant, wie viel sich ohne Worte mitteilt. Ganze Gespräche fanden statt, ohne dass sie je ausgesprochen wurden, so kam es mir vor.
Heute haben wir ein "normales" Arzt- Patienten-Verhältnis. Ich hatte ihm seine scheinbare Überlegenheit genommen und ab da wurde ich gefühlt uninteressanter für ihn. Ich hatte mich in ihn verliebt und als er mal scheinbar beiläufig seine Freundin erwähnte (ein deutliches Signal für mich und sicher nicht so unbeabsichtigt dahin gesagt!), da fühlte ich Frust und Enttäuschung.
Er hatte mich in meine Grenzen verwiesen, so wie er es immer tat, wenn ich ihm mal zu nahe kam, egal ob nun in Worten oder durch Gesten.
Frust erzeugt Wut und ich wurde wütend auf ihn. Saumäßig wütend, wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass da ein Großteil Wut auf mich selbst dabei war. Er hatte mir zögerlich einen Termin gewährt (erst hinterher fiel mir ein, dass er an diesem Tag Geburtstag hat), den er 10 Tage später wieder absagte. Er sprach auf meinen Anrufbeantworter, weil er mich telefonisch nicht erreicht hatte.
Ich wurde noch wütender: Arschloch, erst gibst Du mir den Termin, von dem Du wusstest, dass Du ihn eh nicht halten wirst. Verdammtes Arschloch, dann fahr nach Marokko (sein Urlaubsziel kurz danach) mit Deiner Tussi und verrecke dort! Oder werde entführt, aber verschwinde aus meinem Leben. Ich kann Männer nicht ausstehen, die kein ehrliches Wort sprechen können und sagen: genau an diesem Tag geht es NICHT!

Und dann tat ich gar nichts. Ich meldete mich nicht, denn er war eh in Urlaub. Ich gab mir Zeit bis Anfang März. Vielleicht würde ich mich bis dahin melden. Einige Zeit verging, meine Wut auf ihn verflog allmählich und machte der Einsicht Platz, dass er ein Feigling ist. Er war vergeben, aber er signalisierte bei mir Interesse, nie ganz offensichtlich, denn er kam sozusagen von hinten.
Anfang März war da und ich hatte keine Lust ihn anzurufen oder gar eine Mail zu schreiben. Und so tat ich wieder nichts. Ich dachte mir, vielleicht schickt er mir jetzt die Rechnung per Mail und das war es dann.
Stattdessen schrieb er mir eine Mail mit dem Inhalt des Telefonats. Und er habe einen wundererschönen Urlaub in Marokko verbracht. Ich antwortete nicht, denn in mir sperrte sich etwas ganz gewaltig. Ich gönnte mir die Verweigerung. Warum ihm eine scheißfreundliche Mail schreiben, wenn ich keine Lust hatte, weil es unehrlich gewesen wäre. Ich hatte ihm einen Scheißurlaub in Gedanken gewünscht.
Am 19. März (dem Tag, den er mir zunächst als Termin gewährt hatte) rief er an. Ich war überrascht und sagte: Ach, Herr ..., gibt es Sie auch noch?
Vermutlich hat ihn das nicht gefreut, aber wir vereinbarten sachlich einen weiteren Termin. Natürlich nicht den, den er mir vorschlug ... Klar, das war billig von mir, aber gut hat es mir doch getan.
Die Sache ist abgeschlossen, ohne dass sie jemals begann. Und ich glaube, das war gut so, denn ich lief wieder Gefahr, mich in die Fänge eines ungeeigneten Mannes zu begeben.

Das ist mein Dilemma: Stiefelt mir der Mann hinterher, drängt er, kommt er immer wieder an, entziehe ich mich. Ich mutiere zum Erdhörnchen, das in seinem Loch abtaucht. Ich stehe nicht zur Verfügung, bin nicht erreichbar, ehe er kapiert, dass er nicht das bekommt, was er will.
Gerate ich an einen wie den Shiatsu-Arsch oder meinen Bindungsphobiker, werde ich zum Rennpferd, das hinterher galoppiert und die Distanz verringern wird. Da der aktive BP ein Fluchttier ist, bleibt die Distanz doch immer gleich. Und genau das macht oft genug den Reiz aus: wann endlich gelingt es mir, die Distanz zu verringern?

Ich habe eine Beziehung mit einem guten Mann, der freundlich mit mir umgeht und mir meine Freiheiten lässt, meine Abende mit Freundinnen, meinen Sport, meine vielen Interessen, die er nicht teilt. Es ist ein gutes Leben das ich aushalten kann, weil er mich nicht bedrängt. Aber es ist ein Leben ohne diese Höhe- und viel zu häufigen Tiefpunkte und das ist entschieden energiesparender als das vorher. Es ist Frieden eingezogen und auch Einsicht. Auch ich bin eine von der Sorte, nicht stark ausgeprägt, aber eben doch. Damit muss ich umgehen und ich glaube, das kann ich jetzt. Denn ich weiß, wie die Alternative aussieht: selbstzerstörerisch, weil ich die Macht abgebe und mich beherrschen lasse. Vom Mann, der mir das zuteilt, was er geben kann und was immer zu wenig ist. Und von meinen Dämonen, die mir einflüstern: Du willst die umfassende Liebe, aber die klappt ja eh nicht, ätsch! Wir, Deine Dämonen wissen es besser, denn wir beherrschen Dich, ohne dass Du es merkst! Das ist unsere Macht.

Ich kann sie jetzt im Zaum halten, weil ich sie entlarvt habe und daher verschwinden sie allmählich immer mehr. Meine selbstkritische Haltung gegenüber mir selbst, meine Haltung gegenüber Männern im Allgemeinen. Ich durchschaue sie oft recht schnell und dann interessieren sie mich nur noch am Rande. Ich brauche sie nicht mehr, um Bestätigung und Ganzheit zu fühlen.
Und wenn man den Dämonen ihre Masken entfernt hat, verlieren sie ihren Schrecken und ihre Macht.

Manchmal denke ich noch an meinen BP und frage mich, wie es wohl in ihm aussieht. Eineinhalb Jahre nach der Trennung sahen wir uns das erste Mal wieder (das war 2011!) und ich fühlte augenblicklich Beklemmung und einen Stein im Magen. Stresssymptome heftigster Natur erschienen urplötzlich. Sein Gesicht - eine Maske, so wie ich sie oft bei ihm gesehen hatte. Versteinert, verhärtet und emotionslos, unerreichbar. Er verschwand, ehe er mir gegenüber treten musste.
Und ab da ging es so weiter. Er tat, als sei ich nicht da, wenn wir uns doch ab und an begegneten. Sprach scheinbar sehr engagiert mit anderen, an denen er sich förmlich festsaugte, während ich zwei Meter daneben stand und nicht wegging, innerlich lächelnd und gleichzeitig mit dem triumphalen Gefühl: ich traue mich, aber Du armes Würstchen kannst mir nicht in die Augen schauen.
Dreieinhalb Jahre nach der Trennung eine Fortbildung, die er auch besuchte. Es war eigenartig, aber genau zu dem Zeitpunkt als ich den Raum verließ um noch das WC zu besuchen, trafen wir uns an der Tür. Sein erstaunter Gesichtsausdruck, ein leises Lächeln, ein leises Hallo. Auf dem Klo wusste ich es: ich würde ihn ansprechen, falls er noch alleine sitzen würde.
Genauso war es, er saß unweit vom Eingang, obwohl auch weiter vorne jede Menge freier Plätze waren. Es war, als wollte er mir signalisieren, dass er jetzt bereit sei. Er spielte mit seinem Laptop und ich ging an ihm vorbei, blieb stehen und sprach ihn freundlich an. Er antwortete ebenfalls sehr freundlich auf seine unnachahmlich zurückhaltende und doch gewinnende Art und Weise. Wir sprachen ein paar Worte, brachten uns über Äußerlichkeiten wie meine berufliche Situation und seine Wohnsituation auf den neuesten Stand.
ich beendete das Gespräch und sagte: vielleicht rufe ich Dich mal an.
Er antwortete lächelnd: Mach das!

Ich freute mich und schon überlegte ich, ob jetzt vielleicht die Zeit reif wäre für einen neuen Kontakt auf anderer Ebene. Aber ginge das überhaupt? Mit ihm?
In der Nacht darauf hatte ich einen Traum, in dem er vorkam und den ich als Warnung verstand. Vielleicht eine Warnung meines Unbewussten. Lass es, die Zeit dafür ist nicht da. Jetzt nicht, noch nicht, vielleicht aber auch nie.
Darauf höre ich, auch mein Inneres und wenn es mir Stress signalisiert, dann vermeide ich es, sofern ich es kann. Denn ich will keine Energieräuber mehr in meinem Leben haben, die mir trotz guten Willens vielleicht doch nicht gut tun.

Überdenke was ich Dir geschrieben habe und höre auf Dein Inneres. Dein Bauchgefühl weiß, was Dir gut tut, auch wenn Deine Gefühle sich dazwischen drängeln und rufen: wir wollen aber auch, wir sind auch noch da!
Das Leben ist nicht dazu da, es in Stress und mit negativen Gefühlen zu verbringen. Wer das in Dein Leben bringt, den solltest Du aussortieren, weil es keine Zukunft hat. Im Gegenteil, das Leiden verstärkt sich, denn Du kannst gegen Deine inneren Wünsche nicht an. Du willst mehr von ihm, als er Dir geben kann und wird. Und Du wirst niemals eine laue oder kühle Einstellung zu ihm bekommen können, genauso wenig wie ich.
Mein geliebter BP, ich weiß nicht mal, wie Du jetzt lebst? Muss ich es wissen? Nein, denn ich glaube, es ist besser, es nicht zu wissen.

LG
Sonnenblume

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