Liebe Mondphase,
Du bist wirklich sehr tapfer und mittlerweile weit gekommen. Mit ihm auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen, ohne das bewusste Thema anzusprechen, sich danach gleich zu verabschieden, dazu gehört schon ein gehöriges Maß an innerer Stärke.
Wenn sich meiner damals so um mich bemüht hätte, wäre ich wahrscheinlich wieder schwach geworden. Die Sucht nach Liebe wäre größer gewesen als die Einsicht. Damals zumindest.
Mondphase hat geschrieben:Nur die Frage ist - wie lange?!?!?!
Bindungsängste sind nicht heilbar. Man hat sie oder nicht. Und wenn ja, kann man allenfalls kraft besserer Einsicht eine Beziehung führen, die aber immer viele problematische Phasen hat.
Er dockt jetzt wieder an, gibt sich sehr viel Mühe, weil Du auf Rückzug bist. Fällst Du wieder in die Beziehungsfalle, geht es wieder mit den Distanzmanövern los. Das ist Programm in derlei Beziehungen.
Nähe gibt es nur sehr begrenzte Zeit und einer der beiden ist der Verlierer.
Du hast derzeit - durch Deinen Rückzug und Dein Verhalten bei der Begegnung mit ihm - die Macht zu Deinen Gunsten verschoben. Daher fühlst Du Dich auch recht gut, denn Du hast die Position der untergeordneten Ohnmächtigen verlassen. Sofortiges Wohlbefinden stellt sich ein, zumal Dein Verhalten ja Erfolg bei ihm hat.
Wenn Du in dieser Position bleiben willst, hat er ein Problem. Denn bisher war er der Überlegene und ist die Unterordnung nicht gewöhnt. Ein aktiver Bindungsvermeider wie er ist die Überlegenheit gewöhnt und damit die Macht und die wird er langfristig gesehen nicht aufgeben, sondern wiederherstellen wollen.
Und eine Beziehung auf Augenhöhe wird es kaum geben, denn damit geht die gewohnte Distanz flöten. Meiner ging, als ich glaubte, ich hätte mich jetzt sehr gut positioniert. Auch er zeigte Bemühungen, die Beziehung zu verbessern und ich fühlte mich prächtig. Sofort ging es wieder los mit dem Selbstbetrug: wir haben diese Krise jetzt gemeistert und ab jetzt wird alles besser ...
Einige Wochen hielt er es aus, ehe er den Schlussstrich zog. Eine untergeordnete Sonnenblume hatte er gerade noch ertragen, eine ebenbürtige niemals.
Mondphase hat geschrieben:Er konnte dies wirklich nie beantworten oder erklären.
Da diese Menschen so stark von Kräften aus dem Unbewussten gesteuert werden, finden sie keinen Zugang zu sich.
Ich habe meinen damals auch oft gefragt: was war denn in Deiner Kindheit? Du erzählst so wenig? Kannst Du Dich nicht erinnern z.B. an Deinen ersten Schultag oder die Kommunion?
Nein, er konnte sich nicht erinnern. Seine Kindheit blieb bis auf bekannte Rahmenbedingungen verschleiert. Er erinnerte sich nur an Dinge, die in seiner frühen Jugend stattgefunden hatten. Seine Kindheit, seine Erfahrungen mit den Eltern, seine Gefühle aus dieser Zeit sind verschüttet. Bindungsphobiker haben oft traumatische Erlebnisse hinter sich, wobei die Messlatte dessen, was als traumatisch empfunden wird, sehr verschieden ist. Was einer locker wegsteckt, kann für einen anderen zu einem existentiellen Problem werden. Also muss es sich nicht um wirklich schlimme Dinge wie Kindesmissbrauch handeln.
Tatsache ist, das Kind erfährt und wird nicht damit fertig. Es geht in die inneren Rückzug und da ein Kind keine Lösung findet, packt es die schlimmen Erfahrungen einfach weg. Es breitet den Mantel des Vergessens darüber. Denn Erinnerung würde Schmerz bedeuten.
In einer Therapie, wobei die Heilungsquote wohl sehr niedrig ist, käme es darauf an, den Nebel zu lichten und damit die negativen Erinnerungen und Gefühle zuzulassen, nachzuleben und damit aus dem Unterbewusstsein zu lösen. Je höher die Betondecke ist, die der BP darüber gebreitet hat, desto schwieriges ist ein Zugang möglich. Oft genug ist auch kein Zugang mehr möglich. Das erklärte mir mein Therapeut.
Ich weiß nur, dass eineinhalb Jahre nach ihm, dem ersten Kind, Zwillinge zur Welt kamen. Die Mutter war die Erzieherin, so wie es damals üblich war. Und die war vermutlich erst mal heillos überfordert mit zwei Säuglingen und einem Kleinkind. Er war damals noch ohne Verstand und konnte die Zurücksetzungen, die mangelnde Aufmerksamkeit wohl nicht verkraften, denn er war noch nicht so weit, dass er sich sagen konnte: Mama hat mich trotzdem lieb, auch wenn sie jetzt wenig Zeit für mich hat.
Aber sicher hat er es gefühlt und begann den Weg in den inneren Rückzug. Keiner versteht mich, keiner hat mich lieb, ich bin nichts wert, ich bin nicht wert, geliebt zu werden.
Und der Vater kümmerte sich wenig darum und auch als er älter wurde, da förderte er seinen Sohn nicht etwa, sondern hielt ihn klein: Lass das sein, Du kannst das nicht ...
Daran konnte er sich sehr wohl erinnern, dass sein Vater nicht viel auf ihn hielt und das verfolgt ihn den Rest seines Lebens.
Das Kind verinnerlicht: Keiner da, der sich meiner annimmt. Ich bin nicht wichtig. Ich bin nicht wertvoll und liebenswert .
Es zieht sich zurück in seine innere Welt, vielleicht auch in seine Traumwelt, wo er der tapfere Kämpfer ist. Die Traumen werden beiseite geschoben, übertüncht, vergessen.
Aber die Einstellung zu sich selbst bleibt. Ich bin eine Beziehung nicht wert, denn jeder, den ich an mich ran lasse, wird mich früher oder später verlassen und das ist so schlimm, dass ich es nicht so weit kommen lasse.
Die Strategie: ich bin unabhängig, freiheitsliebend, autark. Ich komme prima mit mir allein zurecht, brauche keine engen Bindungen. Im Gegenteil, Bindungen werden als Bedrohung empfunden und daher kommt es zu den allseits bekannten und lieblosen Distanzmanövern.
Solche Menschen mögen selbstbewusst auftreten, auch einen großen Freundeskreis haben (da sind die Bindungen ja nicht so stark und daher gut auszuhalten), erfolgreich im Beruf sein, denn sie haben ja auch oft Talente und sind fleißig, aber das Beziehungsleben klappt so gut wie nie. Sie speisen ihr Selbstbewusstsein z.B. aus Kontakten. Ich kenne jetzt Frau XY aus der Firma Soundso persönlich! Der Meier hat mir letzthin sogar das Du angeboten und das ist was Besonderes, weil er damit sehr zurückhaltend sind.
Der Chef hat mich letzthin extra gelobt! Usw, usw. Er wurde nicht müde, seine Erfolge herauszustellen, denn damit fütterte er sein schwaches Ego. Das baute ihn auf und ich merkte es, dass dahinter große Defizite steckten. was meiner Liebe keinen Abbruch tat. Im Gegenteil, der Arme, ich muss ihm helfen, ihn bestärken, ihn auch loben und damit sammle auch ich wieder Pluspunkte bei ihm. Er braucht mich und wenn auch nur als Bestätigungs"maschine".
Und sie wirken immer so selbstständig, so unabhängig. Das ist eben die Gegenstrategie, die sie anwenden, um gut durchs Leben zu kommen. Ich fahre da und dorthin ... aber kein Wort von mir. Er kaufte eine Konzertkarte, seine nämlich. Da und dann ist ein Festival, auf das ich gehen will ... aber ich war nicht vorgesehen. Ich wurde informiert und fertig, wenn ich Glück hatte.
Wenn er einen Termin verschusselte, denn Termine mit mir waren immer zweitrangig, hatte ich oft genug den schwarzen Peter. Das musst Du falsch verstanden haben, das habe ich doch nie gesagt ... Solange bis ich nicht mehr wusste, wer Recht hatte und wer nicht.
Mondphase hat geschrieben:und ich bin auf ein „ja“ gestoßen
Wurde vermutlich in der Kindheit angelegt. Überlege mal, woher das kommen könnte.
Mondphase hat geschrieben:Und ja ich habe gemerkt, dass ich ihn manipulieren wollte.
Wenn man mit Ehrlichkeit nicht weiterkommt, dann greift man zu solchen Verhaltensweisen. Ich bin jetzt so und so, dann wird er ... Siehe die Fahrt zum Weihnachtsmarkt. Klappt doch prima.
Mondphase hat geschrieben:Nur die Frage ist - wie lange?!?!?!
Solange, bis die ursprünglichen Machtverhältnisse wieder hergestellt sind. Wenn Du wieder zur Verfügung stehst, dann hat er seine Bemühungen nicht mehr nötig und fällt sofort ins alte Fahrwasser zurück.
Mondphase hat geschrieben:
Ich hab meinen Plan verworfen. Ich wollte dieses Spiel nicht wirklich spielen. Es war nur ein Strohhalm an den ich mich noch klammerte
aber am Ende hakte ich die Sache innerlich ab und ich entspannte mich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit viel Tränen und Kopfschmerzen wieder.
Immer wieder erstaunlich, was man auf der Suche nach Liebe alles erträgt und hinnimmt. Jedes Fünkchen gebiert wieder große Hoffnungen. Damals, da war er doch so lieb ...
Und das wird wieder so sein, ich muss nur warten und so sein, wie er mich haben will, dann wird er den Wert unserer Beziehung sehen. Der fade Hintergrund dahinter: Dann wird er endlich MEINEN Wert sehen und ich werde endlich die Bedeutung in seinem Leben haben, die ich mir wünsche. Da ist oft viel Egoismus dabei.
Mondphase hat geschrieben:Ich bekam noch eine sehr lange Nachricht - dass er alles an mir liebt, dass er es liebt mit mir Zeit zu verbringen und dass er endlich mit mir zusammen sein will, er hätte da einen Plan…
Ach ja, jetzt auf einmal liebt er es, Zeit mit Dir zu verbringen. Das geht doch runter wie Öl, oder nicht? Und wie geschickt er Dich neugierig macht! Er habe einen Plan. Wer will den nicht wissen wollen? Du am allermeisten, denn mit diesem Plan, da könnte es vlt. endlich gelingen ...
Mondphase, er ist trickreich und geschickt und drückt bei Dir die richtigen Knöpfchen. Solange, bis er Dich wieder da hat, wo er Dich haben will: zu seinen Füßen.
Sämtliche Beteuerungen, sämtliche Schuldeingeständnisse sind im Grund genommen wie die Beziehung selbst: instabil, fragil und nur auf Zeit angelegt. Sie sind vergänglich.
Mondphase hat geschrieben:Es ist alles so kompliziert und ich sehe, wie ihr mit dem Kopf schüttelt.
Nein, weder schüttelt hier Jemand den Kopf. Wir haben es ja selbst erlebt und nur was man selbst erlebt hat, das zählt auch. Darüber zu lesen bringt nicht viel, das selbst am eigenen Leib zu erfahren, ist nachhaltiger.
Und es ist nicht kompliziert. Es ist alles sehr einfach und durchschaubar. Dir erscheint es kompliziert, weil Verstand und Gefühle nicht übereinstimmen. Der eine will was, was die andere Instanz nicht will und daher kommt es zu innerem Zwiespalt.
Der Verstand poltert los: Der Schleimscheisser, der Versager, der schmiert Dir wieder Honig ums Maul und das weißt Du auch! Noch nie hat er was für die Beziehung getan. Er taugt nicht, ich habe es Dir immer gesagt, aber Du wolltest ja nicht auf mich hören.
Und dann mischen sich die Gefühle ein: Wir wollen ihn noch nicht ganz abschreiben, denn er hat doch auch wundervolle Eigenschaften, Er kann so nett und liebevoll und fürsorglich sein, das hat er mehrfach gezeigt ... Wir wollen nicht ohne ihn leben ... Er fehlt so ... Er ist halt arm dran und vlt. kann ich ihm doch helfen ... Ja, ganz sicher, werde ich ihn heilen und dann ...
Es dauert leider sehr lange, bis sich die Gefühle entwöhnt haben und bis Du wieder eins mit Dir bist. Lass die beiden Instanzen streiten, aber bleibe bei Dir und bei dem, was Du jetzt weißt und erkannt hast.
Er ist wie er ist und warum er so ist, weiß er selbst nicht. Aber Dich, Dich kannst Du ändern und Dich auf den Weg machen. Zu Dir, weg von Manipulationen und Tricks, weg von Frust und Verlassensein wegen ihm und weg von der Bedürftigkeit, die auch er nicht ausfüllen konnte, er am allerwenigsten.
Werde Du selbst, werde eine stolze und mutige Frau, die zu sich steht, die weiß was sie im Leben will und die darauf auch warten kann. Werde wieder selbstbewusst und Dich wertschätzend. Du brauchst solche Männer wie ihn nicht, du hast sie gebraucht als Wegweiser, weil sie Dir zeigen, was in Dir im Argen liegt.
Kümmere Dich darum, das ist wirklich wichtig! Wenn Du auf diesem Weg weiter gekommen bist, wirst Du Dich wieder zunehmend wohler fühlen. Du hast den Schlüssel zu Dir selbst, er hat seinen verloren.
LG
Sonnenblume