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von Sonnenblume10 » Mi 13. Feb 2013, 15:56
Hallo, Risingsun,
Ihr seid nun solange zusammen, dass die Schmetterlinge im Bauch allmählich nachlassen und die Beziehung in eine andere Phase übergeht, nämlich in Richtung einer festeren Beziehung, die sich konsolidiert hat.
Jetzt, da die Verliebtheit abgeflaut ist, fallen Euch allmählich die Unterschiede zwischen Euch auf. Ihr seid zwei Individuen und jeder bringt seine Vorstellungen, seine Ansprüche, Wünsche und auch Defizite in die Partnerschaft ein, die nicht mehr übereinstimmen.
Dein Partner absentiert sich, unternimmt viel allein und grenzt Dich, da Du niemandem aus seinem Umfeld kennenlernst, aus seinem Leben aus. Du fühlst Dich als Zaungast, wo Du doch die Hauptrolle spielen möchtest. Und zudem hast Du den Fehler gemacht wie viele und ich seinerzeit auch und die Beziehung zum Hauptthema in Deinem Leben gemacht. Du hast Dein Leben um die Beziehung arrangiert, sodass für sie die meiste Zeit übrig ist. Zudem kreisen Deine Gedanken ständig um diesen Mann und die Beziehung. Was ist da los, warum ist er so, warum hält er mich raus, warum, warum warum???? Es war doch so schön und so ideal mit uns, das kann doch nicht sein!
Du fühlst Dich nun massiv verunsichert und spürst, dass da etwas ist, was nicht so sein sollte und was Du nicht einordnen kannst.
Ich will ja nicht unken, aber sein Verhalten riecht mir sehr nach Bindungsphobiker oder zumindest Bindungsvermeider. Er hat an das Zusammensein wesentlich weniger Ansprüche als Du, wirkt sehr selbständig, sehr autark, trifft seine Entscheidungen ohne Dich mit einzubeziehen und bewahrt seine Unabhängigkeit, die er nicht eingeschränkt sehen will. Er ist der Stärkere in Eurer Beziehung und Du bist das arme Hascherl, das nichts versteht und ihm hinterher hechelt. Genauso war es bei mir auch. Ich hatte eine Fernbeziehung, wir sahen uns nur alle zwei Wochenenden und ab und zu mal für einen Nachmittag in einer Stadt zwischen den Wohnorten und auch ich stellte nach den ersten Monaten fest, was Du bemerkt hast. Ich wollte es nicht wahrhaben und wollte mich, da ich spürte, dass er meine Anhänglichkeit eher als Belastung und Einengung empfand, eher zurücknehmen und selbstständig und unabhängig erscheinen. Das gelingt nur nicht, weil Deine Wünsche und Gefühle eine andere Sprache sprechen. Du wirst traurig und depressiv, fühlst Enttäuschung und Ratlosigkeit. Es wird nicht besser, denn Dein Partner spürt ebenfalls instinktiv, dass er eine feste Beziehung nach Deinen Vorstellungen nicht leben kann und will und gleichzeitig spürt er, dass er Deinen Ansprüchen nicht gerecht werden kann.
Das geschieht meist dann, wenn die erste Verliebtheit allmählich weg ist. Er hat Dich in seinem Netz gefangen und eingewoben und das macht er während der ersten Monate sehr geschickt. Er umwirbt Dich, macht Dir Komplimente, kurz Du fühlst Dich als seine Traumfrau und gleichzeitig wunderst Du Dich vielleicht, warum ausgerechnet dieses Goldstück noch auf dem Markt rumsteht. Das tut er nicht ohne Grund. Hat er Dich dann an der Angel, lässt sein Interesse spürbar nach. Du kannst Dich nur unter größten Anstrengungen lösen und meist bekommst Du mehr als einige hilflose Zappelversuche nicht hin, denn Du bist ja in seinem Netz gefangen.
Sei ehrlich, die Komplimente und Liebesbeteuerungen der Anfangszeit gehören der Vergangenheit an, stimmt's? Du merkst, dass er in jeder Hinsicht nachlässt und Du fängst an, um die Beziehung zu kämpfen und wählst alle Mittel, dass Dein Traum nicht den Bach runtergeht. Du wirst zur scheinbar idealen Gefährtin und hoffst, dass er doch erkennen muss, was er an Dir hat. Geht es noch weiter, fängst Du an, die Schuld nicht etwa bei ihm, sondern bei Dir zu suchen. Du müsstest großzügiger, großmütiger, selbständiger sein, dann würde er ...
Vermutlich hilft alles nichts. Es ist einfach so, sein Interesse ist nur so stark, bis er Dich hat. Dann lässt sein Interesse an Deiner Person spürbar nach. Stattdessen spürt er Dein Klammern, Deine Traurigkeit, Deine Eifersucht auf sein Leben, an dem Du keinen Anteil hast und das engt ihn ein. Also geht er seiner Wege - ohne Dich. Ein Teufelskreis beginnt. Du ziehst Dich irgendwann in Deinen Schmollwinkel zurück, dann macht er wieder einen Schritt auf Dich zu. Du schmeisst Dich ihm wieder hochbeglückt in die Arme, aber nur um zu erfahren, dass er sich dann wieder zurückzieht. Das ganze ist ein ständiger Tanz und hochstressig, vor allem für Dich!
Du wirst zufrieden über jedes Brösel, das er Dir gibt, weil Du merkst, dass Du den Kuchen nicht haben kannst.
Meine Prognose für diese Art Beziehung ist schlecht, denn irgendwann geht einer und das ist gesetzmäßig der Stärkere, der die Einengung nicht mehr ertragen kann.
Was weißt Du von ihm? Wie waren seine Beziehungen? Wie sein Elternhaus? Meist liegt das Bedürfnis nach Nähe und Distanz schon in der Kindheit begründet. Dir wurde vermutlich eher Verlustangst eingeimpft (wie mir), während er die Unabhängigkeit wählte, weil er gemerkt hat, dass er im Leben ganz allein auf sich gestellt ist. Er hätte mehr Nähe gebraucht, die er als Kind nicht bekam. Die Konsequenz ist der Rückzug in sich selbst und die Gewissheit, dass keiner jemals für ihn da sein wird. Er hat das verinnerlicht und danach lebt er, dadurch schützt er sich. Auch er hat massive Angst, aber seine Angst ist zugeschüttet, denn darüber hat er seine Selbstbestimmtheit aufgetürmt, damit er sie nicht aushalten muss.
Du kannst einen solchen Menschen nicht heilen, nicht umpolen. Lies Bücher über dieses Phänomen, z.B. "Jein! Bindungsängste erkennen und bewältigen" von Stefanie Stahl oder "So nah und doch so fern". Ich sag Dir gleich, die Bindungsängste sind gleich erkannt, aber bewältigen kannst Du vergessen. Das geht nur, wenn derjenige tatsächlich den Wunsch hat, sich zu verändern, weil er merkt, dass er im Leben so nicht weiter kommt. Er braucht dazu einen Leidensdruck, den er nicht hat. Woher auch? Er braucht ja niemanden. Du bist ihm gewiss und seine Freunde sind prima, denn die engen ihn nicht ein.
Was bleibt für Dich? Nicht viel. Aber Du kannst etwas tun. Arrangiere Dein Leben nicht um diese Beziehung, sondern lebe es. Aktiviere Kontakte, die Du vernachlässigt hast, lerne, ebenfalls etwas selbstständig zu unternehmen und zu entscheiden. Und lasse ihn zappeln. Liegt ihm etwas an Dir, dann wird er kommen, sei Dir gewiss. Wenn Du ihm hinterher läufst, wirst Du megaunattraktiv. Gib ihm das Gefühl, dass er nichts weiter als ein Gast in Deinem Leben ist.
Das kannst Du nicht und das willst Du nicht? Du hast es Dir anders vorgestellt? Ja, kann ich gut verstehen. Wenn Du so nicht leben willst, dann musst Du die Konsequenz ziehen und die heißt knallhart: Trennung.
Wenn Du nicht gehst, dann tut er es. Eines Tages, unweigerlich. Dann hat er bis zum Schluss die Oberhand behalten. Solltest Du die Kraft aufbringen, die Verbindung zu lösen, wird vermutlich Folgendes passieren: er lullt Dich wieder ein und geht dann doch, denn er will die Kontrolle behalten und die Macht. ER muss das so machen, weil sein Selbstbild davon abhängt.
Für Dich bleibt nicht viel außer Schmerz, Wut, Unverständnis, Trauer und vor allem die Erkenntnis, dass auch Du Deine Verlustängste aus Deinem Lebensmuster eingebracht hast, die Du nicht ändern kannst. Und der schönen Gewissheit, dass er nach der Trennung sein Leben frohgemut weiter lebt, ohne dass Du ihm fehlst, dass er vielleicht schon bald die Nächste abschleppt, während Du noch Monate um ihn weinst.
Ich kann Dich nur warnen, was Du tun willst, musst Du selbst wissen. Aber lasse Dir gesagt sein, Du wirst unter der Trennung entsetzlich leiden, vor allem, wenn dazu noch die Schmach der Verlassenen kommt. Dein Selbstgefühl ist auf dem Boden, das ist es jetzt schon und Du wirst lange brauchen, bis Du wieder im Lot bist.
Diese Beziehung ist perfekt: da kommen zwei Menschen zusammen, deren Lebensmuster wie Puzzleteile zueinander passen. Nach einer Zeit der Verschmelzung hält es einer nicht aus. Er fängt an sich zu distanzieren und je mehr Du gierst, desto mehr wird er Dir zeigen, wo Dein Platz ist.
Das Leiden ist ungleich verteilt. Ihm tut es nicht sonderlich weh, aber Dir.
Vielleicht ist er keiner von der krassen Sorte und es gelingt Euch, eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen, in der jeder mit dem Verhältnis aus Nähe und Distanz leben kann. Aber sei vorsichtig. Hinterfrage sein Leben, beobachte ihn und wenn Dir Dein Inneres sagt, dass diese Beziehung nie so sein wird, wie Du sie Dir wünschst, dann musst Du die Konsequenzen ziehen. Für Dich.
Und je eher, desto besser, denn die Trauerarbeit ist Dir so und so gewiss.
Fang an, Dein Leben wieder in den Vordergrund zu stellen. Mach Urlaubspläne ohne ihn oder glaubst Du, er fährt mit Dir wohin? Triff Freunde, Verwandte, geh Deinen Hobbies nach und tu das mit Freude. Er wird Dir vermutlich kaum Steine in den Weg legen. Entweder Du gewinnst dadurch an Attraktivität für ihn oder aber es ist ihm sowieso zunehmend egal.
Das liest sich jetzt hart für Dich. Aber ich spreche aus schmerzlicher Erfahrung, denn ich habe das alles mitgemacht. Und hinterher fielen mir dann noch einige Dinge bei mir selbst auf, die mir gar nicht gefielen. Die Selbsterkenntnis und ist sie auch nur stückweise, ist dann ein eigener Horror. Es gibt auf der Welt einen Menschen, der immer für Dich da ist: Das bist Du selbst.
Dann kommen Deine Eltern und Geschwister, denn Blutsbande halten immer stärker als andere Bindungen. Mit viel Glück kommt ein geeigneter Partner und Kinder, aber die gehören Dir nur einige Jahre, ehe sie ihre eigenen Wege gehen.
Du musst jetzt nicht verzweifeln oder bist Du das schon? Das Leben ist trotzdem lebenswert. Mir geht es auch wieder gut, ja ehrlicherweise viel besser als während der Frustbeziehung. Und ihm? Keine Ahnung.
Meine Beziehung hielt 14 Monate und mein Todesurteil war die Frage nach einer Reise über ein Wochenende. Ein Vorschlag, den er selbst mal gemacht hatte, als er sich während der Beziehung wieder mehr Mühe gab. Er wollte ja, aber er konnte nicht. Nicht mit mir jedenfalls. Dann hat er sich getrennt. Per Mail übrigens. Ich wollte noch Kontakt halten, rein freundschaftlich ( ein Blödsinn, denn das funktioniert nicht), ehe er mich einige Monate ganz aus seinem Leben entfernte. Denn er brauchte mich nicht mehr, hatte schon längst eine Neue und ich war endgültig lästig geworden. Ich habe es überlebt, aber ich trage manchmal immer noch daran. Irgendwann erkannte ich, dass er auch nur ein Werkzeug für mich war. Er war dafür da, dass ich meine Verlustängste und meine Verlassenheit, die ich seit Kindeszeiten kannte, nachleben konnte. Das geht so lange, bis Du Dich davon erlösen kannst. Erst dann gibt Deine Seele Ruhe.
LG
Sonnenblume